Die Suche nach den Sternen
und Leidens überstieg das menschliche Vorstellungsvermögen.
Ancor lag während des ganzen Aufklärungsvorstoßes bewegungslos auf dem Bett seiner Kabine und starrte ausdruckslos an die Decke. Vor seinem inneren Auge tanzten furchterregende Visionen, und der einzige, schwache Hoffnungsschimmer lag in den Außenregionen Solanas. Ancor sah zwar nicht die Bilder, die die Kameras und Orter der Shellback lieferten, aber das war auch nicht notwendig: Seine Phantasie reichte vollkommen aus, um sich ein Bild des Schreckens zu machen. Gleichzeitig war ihm bewußt, daß die Uranus-Schale nur ein Vorreiter dessen war, was der gesamten Menschheit drohte, wenn es Zeus nicht gelang, die Überbevölkerung in den Griff zu bekommen.
Schließlich nahm die Shellback Kurs auf die nächste große Schale, die des Neptuns. Langsam verwandelte sich der Ausdruck von Sorge und Bedrückung auf Ancors löwenhaftem Antlitz in grimmige Entschlossenheit. Sine, die Ancors Verwandlung beobachtete, wußte, daß sie die leidenschaftlichen Gefühle, die ihn an den Rand des Universums trieben, nur ansatzweise teilen konnte. Aber es gab andere Leidenschaften, die sie mit ihm teilen konnte, und bald vertieften sich die beiden in ein wunderbares Liebesspiel. Gelöst und zufrieden sank Maq in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
Währenddessen berechnete Cherry den Kurs durch die 1,7 Milliarden Kilometer des Nepturan-Raums. Die Flugdauer behagte ihm überhaupt nicht: Trotz ihrer Raumreisegeschwindigkeit von achthunderttausend Kilometern pro Stunde würden sie die Neptun-Schale erst in drei Monaten erreichen. Vor ihnen lag die bisher längste Etappe ihrer Reise, aber das war nicht anders zu erwarten gewesen; schließlich war die Neptun-Schale der äußerste Punkt Solanas, zu dem sie je vorgestoßen waren. Jenseits der Schale des Neptuns lag angeblich die Pluto-Schale, über die keinerlei Erkenntnisse vorlagen. Und was folgte dann? Weitere Schalen? Oder einfach das Ende? Cherry teilte nicht Maqs Idealismus, aber die Chance eine Holo-Dokumentation vom Ende des Universums zu machen, weckte den Ehrgeiz des vogelscheuchenhaft dürren Illusionisten.
Carli paßte die Aussicht, weitere zwölf Wochen auf engstem Raum eingesperrt zu verbringen, noch weniger. Ihr fehlte sowohl der Idealismus wie der künstlerische Ehrgeiz, und sie hatte an der Expedition eigentlich überhaupt nicht teilnehmen wollen. Carli hatte nur zugestimmt, weil ihr eine Existenz ohne Tez unvorstellbar erschien. Sie träumte davon, endlich diese letzte Reise hinter sich zu lassen, und mit dem gesparten Geld das Haus zu bauen, für das Tez und sie von jeher geschuftet hatten. Es war ein seltsamer Zufall, daß ausgerechnet sie, als sie lustlos in der winzigen Kombüse zugange war, eine zufällige Beobachtung machte, die das Leben der gesamten Besatzung retten sollte.
Nahezu der ganze Proviant an Bord der Shellback bestand aus dehydrierten Konzentraten, aber um etwas Abwechslung in ihren Essensplan zu bringen, hatte sie sich angewöhnt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit frische Früchte und Gemüse an Bord zu schmuggeln. In Zapoketa hatte sie einige Pfund Kartoffeln aus Imref Varters Küche mitgehen lassen. Diese kochte sie jetzt, um das mit Wasser versetzte Trockenfleisch anzureichern. Nach einiger Zeit probierte sie eine der Kartoffeln, runzelte die Stirn und stellte fest, daß sie noch nicht fertig waren. Carli beschloß, die Knollen noch für weitere fünf Minuten auf dem Herd zu lassen. Als sie danach immer noch nicht gar waren, ging sie zu Tez, der mit Nasenbluten auf dem Bett ihrer Kabine lag.
»Diese bescheuerten Kartoffeln werden einfach nicht fertig!« beschwerte sie sich.
»Bist du sicher, daß du sie auf den Herd gestellt hat?« erwiderte er unwirsch. Seine Nase begann von neuem zu bluten, und er drückte ein Papiertaschentuch dagegen, das sich immer stärker rot verfärbte. Dann hielt er inne, es schien fast, als ob ihn der Anblick seines eigenen Blutes in Verzückung versetzte, und starrte Carli an. Einen Augenblick lang wich jede Farbe aus seinem Gesicht, dann schoß seine Faust nach oben und krachte auf den Notalarm. Wie ein Verrückter rannte er zu Maqs und Sines Kabine.
Ancor, den der Alarm auf der Stelle hatte hochschrecken lassen, stand bereits in der Tür, als Tez um die Ecke des Gangs bog. »Was ist los, Tez?«
»Der Luftdruck fällt! Wir müssen irgendwo ein winziges Leck haben. Aus irgendeinem Grund haben es die Überwachungssysteme nicht registriert.«
Mit einem
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