Die Sünde aber gebiert den Tod
Gelehrte hat Euch den gesamten Brief des Jakobus übersetzt, auf dass Ihr schändlichen Gebrauch davon machen könnt. Und ich dachte, ich fände hier mütterliche Frauen vor, die sich eines hilflosen Kindes annehmen.«
»Auch des Lesens kundige Frauen können sich um Kinder kümmern!«, fauchte Almut.
»Das sah mir eben aber nicht danach aus! «
Beide sahen sich mit blitzenden Augen an, aber es war Almut, die als Erste den Blick senkte. Drei Kinder hatte sie verloren, hatte sie tot zur Welt gebracht und war dafür bestraft und beschimpft worden. Das vertraute Gefühl des Versagens stieg in ihr auf.
»Begine? «
Es klang sanft, und Almut atmete tief ein.
»Ich nahm an, einige Eurer Schwestern hätten zu Zeiten eigene Kinder großgezogen. Darum habe ich mich gegen den Prior durchgesetzt, der das Kind den Benediktinerinnen zu Machabäern überbringen wollte.«
»Ja, das stimmt.« Ruhiger geworden zählte Almutauf: »Gertrud hatte Kinder, Bela und Mettel auch, soweit ich weiß. Ursula hat ihre bald nach der Geburt verloren, von den Weberinnen weiß ich es nicht, Clara hatte keine, Elsa und Rigmundis waren nicht verheiratet, und Magda werde ich nicht fragen. Ich glaube, Ursula sollte sich darum kümmern, sie ist die mütterlichste von uns.«
Pater Ivo sah die Begine an und nickte dann.
»Oder habt Ihr Erfahrung mit kleinen Kindern, Frau Franziska?«, fragte Almut die Köchin.
»Ich? Nicht viel, und Kindergeplärre habe ich so gerne wie Ohrenweh«, wehrte die Köchin ab. »Hat mir gelangt, in einem Gasthaus zu wohnen, das in den letzten Tagen von Kindergeschrei widerhallte! Ihr wisst doch, ich suchte aus diesem Grund bei Euch Zuflucht.«
»Schon recht, Frau Franziska. Ich frage morgen unsere Ursula«, besänftigte Almut sie.
Der Benediktiner erhob sich und streckte sich.
»Es ist spät in der Nacht. Ich werde morgen versuchen, mehr über das Kind herauszufinden. Seid so gut und sorgt für das Geschöpf, bis wir eine geeignete Lösung gefunden haben.«
»Natürlich, Pater. Wartet, ich bringe Euch zum Tor.«
Die schneeschweren Wolken hatten begonnen, sich ihrer Last über der Stadt zu entledigen. Dichte Flocken wehten in Wirbeln herab und hatten schon eine dichte weiße Decke über die Dächer und den Hof gelegt. Pater Ivo zog die Kapuze wieder über seinen Kopf, und so sah Almut sein Gesicht nicht, als er sich zum Abschied zu ihr wandte.
»Möge die barmherzige Mutter Euch für Eure Fürsorge und Güte segnen, Begine.«
Er eilte davon, ohne sich noch einmal umzudrehen,und der Schnee überdeckte beinahe sofort die Spuren, die seine Schritte hinterlassen hatten.
Nachdenklich ging Almut zur Küche zurück. Sie fragte sich, ob es wohl die Sterne waren, die sie immer wieder mit Pater Ivo zusammentreffen ließen. Irgendwann in der nächsten Zeit würde sie Meister Krudener darum bitten, ihr das zu erklären. Sie fragte sich auch, ob sich aus diesem kleinen Ereignis wieder solch bedrohliche Situationen entwickeln würden wie bei den beiden ersten Malen, als sie den Mord an seinem Schützling Jean aufklären mussten und danach in den Fall des verstorbenen Domgrafen verwickelt waren.
»Ach, dummes Zeug!«, murmelte sie und machte die Tür hastig hinter sich zu, um so wenig Wärme wie möglich in die Nacht entweichen zu lassen.
»Ich werde das Kind heute Nacht mit zu mir nehmen«, entschied Almut und setzte sich hin, um den Säugling sacht in den Armen zu wiegen. Dabei fiel ihr Blick auf das zusammengefaltete Pergament, das auf den Boden gefallen war.
»Habt Ihr einen Brief bekommen, Frau Franziska? Dann hebt ihn besser auf, damit er nicht verschmutzt.«
»Das ist nicht mein Brief! Wer soll mir schon schreiben?«, antwortete Franziska, hob aber dennoch den Bogen auf. »Den muss der Pater verloren haben.«
»Dann überlasst ihn mir, ich gebe ihn zurück, wenn er wiederkommt.«
»Seid Ihr sehr vertraut mit ihm?« Behände drehte Franziska den Oberkörper und hielt die Arme abgespreizt, um auf die geringe Raumgröße hinzuweisen. »Ich meine, ich konnte mir ja nicht die Ohren verschließen.«
»Schon gut«, beruhigte sie Almut. »Pater Ivo und ich sind uns schon häufiger über den Weg gelaufen. Er wirktoft schroff, aber er kann durchaus ein geduldiger Zuhörer sein. Manchmal...«
»Und Ihr erprobt gerne diese Geduld?«
»Meine schlimme Zunge, Frau Franziska, kostete ihn schon das eine oder andere Mal, fürchte ich, diese Geduld.«
»Ach, Frau Almut, seid nur vorsichtig mit dem, was Ihr solchen Männern
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