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Die Sünde aber gebiert den Tod

Die Sünde aber gebiert den Tod

Titel: Die Sünde aber gebiert den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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zusammentreten, sehe die Verräter ihr grausames Urteil fällen. Nein, die Wälder behagen mir nicht, ich will zurück, will fliegen über die schlafende Stadt. Ja, hier bin ich zu Hause. Ich sehe die Kinder süße Bratäpfel naschen und die Mütter andächtig beten. Ich höre die Glocken die frohe Botschaft hinaustragen über die Dächer und schwebe im sich kräuselnden Rauch der Kamine. Doch ach, das schöne Bild trügt, nicht Frieden herrscht auf Erden, sondern Gewalt und Grauen. Ich sehe den Verratenen beten auf geweihtem Grund und die Einsame Schutz suchen in den heiligen Mauern. Ahhh! Der Ruchlose meuchelt die Hilfesuchende, und schändlich verrät er die Bande, die sie einst miteinander einten. Und dort schmachtet der Verbannte in den Kerkern, und die zornige Göttin schwingt die Geißel.
    Nein, nein, es ist zu grausam, was hier auf Erden geschieht. Ich will nicht mehr fliegen, ich will auf der festen Erde bleiben und nur meine Augen erheben. Ja, ich erhebe meine Augen zum Himmel, und siehe, da sind fliegende Schriftrollen. Ich sehe eine fliegende Schriftrolle, die ist zwanzig Ellen lang und zehn Ellen breit. Und das ist der Fluch, der ausgeht über das ganze Land, denn alle Diebe und Meineidigen werden nachdieser Schrift ausgefegt. Dieser Fluch soll kommen über das Haus des Verräters, und er wird verlieren seinen Besitz, seine Ehre und seinen Kopf. Ah, und nun reißen die Wolken entzwei, und das, was ich schaue, wird dereinst das Schicksal dieser Stadt sein! O mein Gott, wie entsetzlich! Da kommen die Vögel aus Eisen, die donnernd durch die Dunkelheit brechen. Feuer springt unter ihren Flügeln hervor, und Verderbnis regnet aus ihren Bäuchen. Sie fragen nicht nach den Gerechten, sondern die Eier, die sie legen, vernichten die Stadt, rauchend liegt Köln in Trümmern, unversehrt ragt nur der Dom unter ihnen auf...«
    »Heilige Jungfrau Maria!«, stieß Elsa aus, während Almut der verstummten Rigmundis Honigwasser einflößte und ihr half, sich bequem hinzusetzen.
    »Habe ich etwas Schreckliches angekündigt?«, fragte sie mit matter Stimme.
    »Nichts Wesentliches, nur Mord, Verrat, fliegende Schriftrollen und eiserne Vögel, die Köln in Trümmer legen.«
    »Schriftrollen, die fliegen. Und eiserne Vögel – so ein Blödsinn! Das Bier scheint ziemlich stark zu sein«, flüsterte sie. »Ich glaube, ich gehe jetzt besser zu Bett.«
    Ein wenig schwankend verließ Rigmundis den Raum und kletterte die Stiege zu ihrer Kammer empor.
    Elsa sah ihr nachdenklich hinterher und bemerkte dann leise zu Almut: »Mh. Das Bilsenkraut. Das hat meine Mutter in die Salbe gemischt, mit der sie sich einrieb, wenn sie vom Fliegen träumen wollte. Beeindruckend! Sie hat dann manchmal Dinge gesehen, die sich in einiger Entfernung wirklich abgespielt haben.«
    »Ei wei! Dann haben wir es wirklich mit Mord und Verrat zu tun? «
    »Das bleibt doch in einer Stadt wie Köln nicht aus.« »Das stimmt auch wieder.«
    »Nun ja, bisher waren ihre Prophezeiungen zwar immer wahr, aber meist von harmloser Gestalt.«
    Das waren sie – meist. Aber Almut kannte auch einige, die überhaupt nicht harmlos waren. Aber Vögel aus Eisen, die Köln in Trümmer legen würden – na ja, das war nun wirklich ein bisschen absurd.
    Dennoch saß Almut später nachdenklich in ihrer Kammer und wärmte sich die Hände über der Kohlepfanne. Die kleine vergoldete Marienstatue sah ihr dabei zu, und das tanzende Flämmchen der Öllampe ließ ihr sanftes Gesicht lebendig aufleuchten.
    »Fliegende Schriftrollen, Maria? Das kommt mir irgendwie bekannt vor! «
    Almut hielt oft Zwiesprache mit der ewigen Jungfrau, und nicht selten bekam sie Antwort von ihr. So auch jetzt. Eine Predigt vielleicht, ein Text, den sie irgendwann gehört hatte, möglicherweise auch eine Übersetzung, die Clara angefertigt hatte, stahl sich in ihre Erinnerung.
    »Da gibt es etwas in der Bibel, glaube ich, Maria. Von einem der alten Propheten. Seltsam, Rigmundis hat oft in ihren Visionen biblische Bilder.«
    Aber dann brachte die Erwähnung der Schriftrollen noch eine andere Saite in ihr zum Klingen, und plötzlich fiel ihr ein, was es war. Das Pergament, das Pater Ivo verloren hatte, als er das Kind brachte. Es lag seit der vorigen Nacht in ihrer Truhe.
    Neugierde war ihr schlimmstes Laster. Sie gab Mercurio in Gemini nach und hob den Deckel der Truhe, um beim flackernden Licht des Öllämpchens einen Blick auf dieses Schreiben zu werfen.
    Es war lose zusammengefaltet, der Abdruck des

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