Die Sünde aber gebiert den Tod
volltönend die Litanei anstimmte, sah Pater Ivo, der ganz in seiner Nähe kniete, dass der ehrwürdige Vater offensichtlich unter quälenden Schmerzen litt.
Wie jedes Jahr war er, genau wie seine Mitbrüder – und sicherlich die Gläubigen der ganzen Christenheit – tief ergriffen, als Theodoricus mit laut hallender Stimme der Engel Botschaft verkündete: »Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt ihr zum Zeichen. Ihr werdet finden ein Kind in Windeln gewickelt...«
Ein lautes Weinen unterbrach die freudigen Worte, und verblüfft schwieg der Abt.
»Bäh! Rabääääh!«, klang es vom Altar her.
»Ein Wunder!«, raunte es durch die Menge der Mönche. Pater Ivo hingegen war erstaunlich behände auf die Füße gekommen und eilte zum Altar.
»Verzeih, ehrwürdiger Vater, aber hier scheint uns jemand einen üblen Streich zu spielen.« Seine durchdringenden Augen glitten über die Reihen der Novizen, aber sie waren vollständig vertreten, und in ihren Gesichter spiegelte sich schlichte Verzückung wider.
»Verschwinde vom Altar!«, zischte der Prior Rudgerus den Pater an, aber der griff mutig in die Richtung der kindlichen Geräusche und hielt gleich darauf ein schreiendes Bündel im Arm.
»Ein Kind ist uns geboren!«, stimmten einige der Mönche inbrünstig an.
»Ivo, was soll das?«, fragte nun auch der Abt und betrachtete mit Widerwillen das brüllende Etwas.
»Ein ausgesetztes Kind, würde ich meinen. Einen trefflichen Zeitpunkt hat die Mutter gewählt. Lass mich das Geschöpf in die Sakristei bringen, ehrwürdiger Vater. Die Messe soll dadurch nicht weiter gestört werden.«
Theodoricus, das Gesicht grau vor Schmerzen, nickte nur und fuhr mit der Lesung fort, während Pater Ivo unter den missbilligenden Blicken des Priors den Andachtsraum verließ.
Durch seine Körperwärme und sanftes Wiegen in seinen Armen hatte er es geschafft, das Kind zu beruhigen, doch bot er dem Abt und dem Prior ein gar wunderliches Bild, als sie nach der hastig beendeten Messe in die Sakristei traten.
»Allmächtiger, was für ein unangenehmer Zwischenfall!«, seufzte Theodoricus und ließ sich auf einen Schemel sinken. »Mein Nierenstein bringt mich noch um. Was machen wir nur mit dem Kind?«
»Es braucht Wärme und Nahrung. Und vermutlich auch Windeln«, schlug Pater Ivo vor.
»Gib es mir, ich bringe es in die Krankenstation!«, befahl der Prior in herrischem Ton und wollte nach dem Kind greifen.
Pater Ivo entzog es seinem Zugriff und schüttelte den Kopf.
»Das nützt wahrscheinlich wenig. Ich fürchte, es braucht eine Amme, und mit der kann auch Bruder Markus nicht dienen.«
»Wir müssen die arme Seele finden, die es ausgesetzt hat. Hast du irgendein Erkennungszeichen an dem Geschöpf gefunden?«
»Nein, aber ich habe es auch nicht weiter untersucht. Ich wollte es nicht wieder der Kälte aussetzen. Es ist in warme Decken gehüllt und trägt ein Häubchen aus feinem, bestickten Stoff. Das deutet nicht auf eine bedürftige Mutter hin. Das ist aber auch alles, was ich daraus schließen kann. Ich würde vorschlagen, das Kind so schnell wie möglich in die Obhut einer Frau zu geben.«
»Dann lasst es mich zu den Machabäerinnen bringen!«, bot sich Rudgerus an.
»Nein, nicht zu unseren Schwestern. So gut sie auch sind, mit Säuglingen dürften sie wenig Erfahrung haben. Ich denke, ich bringe es heute Nacht noch zu den Beginen am Eigelstein!«
»Natürlich, das musste ja so kommen. Du und deine Beginen! Die haben wohl mehr Erfahrung mit Kindern, was?«
»Viele von ihnen sind Witwen, die selbst Kinder geboren und aufgezogen haben.«
»Das spricht für diesen Vorschlag, Rudgerus«, mischte sich der Abt ein und drückte sich die Hände in denRücken, von dem die Schmerzen, die der Nierenstein verursachte, ausstrahlten. »Ich muss ins Bett. Die Diskussion ist beendet! Ivo, bring dieses unerträglich laute Geschöpf von hier weg. So schnell wie möglich.«
Das Geschrei hatte mit unverminderter Lautstärke wieder eingesetzt, und sogar der Prior verzog entnervt das Gesicht und hatte keine Einwände mehr.
10. Kapitel
D ie Beginen hatten sich zu ihrer eigenen Andacht und Lesung im Refektorium versammelt und lauschten begeistert ihrem neuen Mitglied Ursula. Die Weberswitwe begleitete sich auf einer kleinen Harfe und sang mit einer samtigen Altstimme »In dulci
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