Die Sünde aber gebiert den Tod
schob Franziska das Tuch von den Augen und keifte: »Böswillig verschwiegen habt Ihr mir, dass bei Euch der Aussatz ausgebrochen ist!«
»Ist er aber nicht, Ihr einfältiges Huhn!«
»Hätte aber sein können, Ihr hinterhältige Zicke!«
Mittlerweile waren einige Kinder und Erwachsene stehen geblieben und freuten sich auf eine bevorstehende Rangelei. Es wurde verhalten gekichert, und eine heisere Stimme fragte in die Runde, wer auf die Begine wetten würde.
Das ernüchterte die beiden. Sie funkelten sich nur noch böse an, nahmen ihre Körbe wieder auf, würdigten die Umstehenden keines Blickes und setzten ihren Weg schweigend fort.
Erst nach einer Weile schaute Franziska vorsichtig zu Almut auf, die festen Schrittes und mit hoch erhobenem Kopf neben ihr herging. Sie schnaufte leise.
»Eigentlich zanken sich Hühner und Zicken nicht!«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Ich hab in der letzten Zeit ein bisschen was durchgemacht.«
»Ja, den Eindruck habe ich auch gewonnen.«
»Ich bin eigentlich ganz froh, bei Euch Unterschlupf gefunden zu haben!«, kam es sehr kleinlaut von der Köchin.
»Wir sind auch ganz froh darum, dass Ihr bei uns Unterschlupf gesucht habt. Gertrud muss sich noch eine Weile schonen...«
»Heißt das, meine Dienste werden noch einige Zeit benötigt?«
Almut zwinkerte, und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Ja, und nun sollten wir eben mal anhalten, denn mit diesem verrutschten Tuch seht Ihr wahrhaftig wie ein zerrupftes Huhn aus, Frau Franziska.«
»Lasst bloß die vornehme Frau weg, die passt sowieso nicht zu einem Huhn.«
»Schon recht, zu einer Zicke auch nicht, denke ich,Franziska. Und jetzt suchen wir eine Familie auf, die sich über unsere Gaben besonders freuen wird. Ah, da ist ihr wichtigster Vertreter ja auch schon.«
Pitter, der Päckelchesträger, stand neben einem dampfenden Pferd. Er war in einen grauen, fadenscheinig gewordenen Umhang gewickelt, der ihm deutlich zu groß, aber an vielen Stellen geflickt und ausgebessert war. Eine graubraune Gugel wärmte seinen Hals und die Ohren. Den langen Schwanz der Kapuze hatte er in der Art eines maurischen Turbans um den Kopf gewunden, doch der Zipfel, verziert mit einem kleinen, scheppernden Blechglöckchen, baumelte keck über seine linke Wange. Neben ihm stand der Besitzer des Pferdes. Er mochte etwa genauso alt sein wie der Kölner Gassenjunge, irgendwo um die vierzehn Jahre, aber sowohl sein Auftreten als auch sein Aussehen ließen sich nicht mit Pitter vergleichen. Er trug einen dunkelroten Umhang aus schwerer Wolle, pelzverbrämt und genau bis an seine Waden reichend. Auch seine Mütze war aus Pelz, und seine Stiefel schmiegten sich glatt um seine Beine.
»Pitter, bist du bei der Arbeit?«, fragte Almut, als sie ihn erreicht hatten.
»Klar!«, schnaufte er, zog vernehmlich die Nase hoch und wischte mit dem Handrücken die verbleibenden Tropfen weg.
Angeekelt musterte ihn der andere Jüngling und machte dann eine höfliche und ausnehmend anmutige Verbeugung.
»Seid gegrüßt, Frau Begine, und auch Ihr, werte Dame!« »Womit du gelernt hättest, Pitter, wie du uns schicklich zu begrüßen hast.«
»Hab ich das nötig?«
»Nun jaaaa... Also, in diesem Korb hier, Pitter, ist daseine oder andere Häppchen, das deiner Mutter und deinen Geschwistern ein hübsches Weihnachtsessen bescheren könnte...«
Pitters Augen in seinem mageren Gesicht glühten auf. Pathetisch legte er die rechte Hand auf sein Herz und versuchte eine großartige Verbeugung. Das launische Schicksal aber wollte es, dass eine gefrorene Pfütze unter seinem Fuß sein Gleichgewicht störte und er der Länge nach auf die Nase fiel, als er sich vornüberbeugte.
»Nur orientalische Potentaten verlangen, dass man sich vollständig vor ihnen zu Boden wirft. Vor Frauen, mögen sie noch so edel sein, gilt die Proskynese als überzogen«, näselte der adrette Jüngling.
»Klugscheißer!«, kam es von unten. Eine schmuddelige Hand schoss hervor, packte einen der beiden eleganten Stiefel, und ehe er sich’s versah, saß der junge Mann auf seinem Allerwertesten im Schnee.
»Vor Frau Almut ist das für Euch die rechte Haltung, edler Herr!«, schnaubte Pitter, während er sich aufrappelte und den Schnee von seinem Umhang klopfte.
Das Funkeln in den Augen des anderen verhieß nichts Gutes, und Almut sah sich gezwungen, vermittelnd einzugreifen. Sie öffnete den Korb, drückte Pitter und dem sitzenden Edelknaben ohne Umstände je einen der süßen Wecken in die
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