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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Pfeifenkopf, der elegant in Form einer Meerjungfrau geschnitzt war. Ihre hübschen Brüste hatten durch die Liebkosungen vieler Jahre einen goldenen Schimmer angenommen. »Eine Pfeife hilft beim Nachdenken.«
    »Das muss ich irgendwann einmal ausprobieren«, sagte Grey trocken. »Die Person, in deren Namen Ihr Humperdinck um Rat ersuchen wolltet -«
    »Ist tot.« Seine Worte fielen wie eine Axt und hackten das Gespräch ab. Fast eine Minute blieben beide Männer stumm; Grey hörte, wie seine Taschenuhr die halbe Stunde schlug, doch es machte ihm nichts aus zu warten.
    Irgendetwas hatte er ausgelöst, das spürte er - wie eine
Maus, die durch die Ecken eines Zimmers schleicht -, doch er hatte keine Ahnung, was es sein könnte. Longstreets Blick war auf die Pfeife geheftet, sein Mund fest zusammengepresst. Grey sah, dass er im Begriff war, einen Entschluss zu fassen, und wenn er jetzt zu früh den Mund aufmachte oder das Falsche sagte, hätte er die Maus womöglich zurück in ihr Loch gejagt. Er wartete. Longstreets keuchender Atem war im Raunen des Feuers kaum zu hören.
    »Mein Vetter«, sagte der Doktor schließlich. »George.« Er sprach den Namen voller Zuneigung und Bedauern aus.
    »Mein Beileid«, sagte Grey leise. »Ich hatte nichts davon gehört, dass Lord Creemore gestorben ist.«
    »Letzte Woche.« Longstreet legte sich die Pfeife auf das Knie. » Le Roi est mort; vive le Roi .«
    »Verzeihung?«
    Longstreet lächelte unverhohlen ironisch.
    »Ich bin der Erbe meines Vetters. Ich bin jetzt Lord Creemore - was auch immer mir das nützt. Wa - wa -« Er räusperte sich und holte rasselnd Luft, dann hustete er heftig und schüttelte den Kopf.
    »Was haltet Ihr für wichtiger, Lord John?«, fragte er, klarer jetzt. »Das Leben eines Mannes oder die Ehre seines Namens nach seinem Tod?«
    Grey überlegte. Die Frage überraschte ihn, doch sie war ernst gemeint.
    »Was mich betrifft«, antwortete er schließlich, »so sage ich, es kommt zuerst auf den Mann an. Und zweitens, dass ein Mann, der nicht in Ehren gelebt hat, nach seinem Tod wohl auch keinen Anspruch darauf hat.«
    »Ah. Aber ich habe nicht unbedingt von der Ehre des Mannes gesprochen. Ich habe gesagt ›die Ehre seines Namens‹. Versteht Ihr das vielleicht besser?«
    »Ihr meint seine Familienehre.« Ja, das war ein Volltreffer - und sollte es auch sein. Doch er beherrschte sich. »Ich würde ihr großen Wert zuschreiben, ja. Aber Ehre ist nicht nur das, was die Welt dafür hält, Sir - sondern das, was sie ist. Und
ich wiederhole, dass man einen Mann nicht losgelöst von seiner Ehre betrachten kann.«
    »Nein«, sagte Longstreet nachdenklich. »Da habt Ihr wohl Recht.« Und doch …, sagte sein Gesicht so deutlich wie jedes Wort. Er trug einen inneren Konflikt mit sich selbst aus, und Grey glaubte auf einmal zu wissen, worum es dabei ging.
    »Aber natürlich«, sagte er, »Ihr seid ja Arzt. Von Eurem Standpunkt aus muss doch die Erhaltung des Lebens oberste Priorität haben, unabhängig von jeder anderen Überlegung?«
    Longstreet - für Grey war er immer noch nicht der Graf von Creemore - warf ihm einen verblüfften Blick zu, doch Grey konnte nicht sagen, ob er ins Schwarze getroffen hatte oder ganz und gar daneben.
    Das Auftauchen der Haushälterin, die ihnen Tee brachte, ließ ihnen beiden einen Moment Zeit, sich wieder zu sammeln. Das kleine Haus war feucht, und trotz des Feuers lag ein Hauch von Kühle in der Luft. Greys linker Arm schmerzte, und er war dankbar für das warme Porzellan in seiner Hand und den Duft des guten Assams. Über diese körperlichen Wohltaten hinaus lösten die kleinen Rituale des Teetrinkens die Anspannung zwischen ihnen ein wenig.
    »Dann seid Ihr der Arzt Eures Vetters gewesen?«, fragte Grey so beiläufig, als hätte er den Doktor gebeten, ihm den Zucker zu reichen.
    Longstreet hatte sich wieder gefasst, und der heiße Tee verlieh seinen hohlen Wangen eine Spur von Wärme. Er nickte.
    »Ja. Und er ist nicht an der Syphilis oder einer anderen schmachvollen Erkrankung gestorben, falls Ihr dies für den Grund meiner Frage haltet.«
    Demenz und Wahnsinn waren zwar nicht minder schmachvoll als eine Geschlechtskrankheit - möglicherweise sogar mehr -, doch das erwähnte Grey - noch - nicht. Den meisten Medizinern in seiner Bekanntschaft fehlte jedes Taktgefühl, und Longstreet war Militärarzt - oder war es zumindest gewesen - und war daher selbst den widerwärtigsten körperlichen Phänomenen gegenüber abgehärtet.

    »Woran

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