Die Sünde der Brüder
schwankte, weil ihre Knie nachgaben, und er fasste sie hastig am Arm und zog sie vom Fenster zurück.
»Danke«, sagte sie mit einem langen, erschauernden Atemzug. »Das … fühlt sich besser an. Ein bisschen. Aber ich kann doch jetzt nicht ständig Gegenstände in Scherben werfen, oder?«
Er suchte nach Inspiration und fand sie.
»Dein Vater hat ein paar schöne Vogelflinten. Tom Byrd und ich können morgen mit dir in den Wald gehen, und dann bringe ich dir bei, wie man Tontauben schießt. Sie fliegen wunderbar in Scherben.«
Sie wischte sich mit der Hand über die Nase wie ein kleines Kind. Er fischte ein Taschentuch aus dem Ärmel und reichte es ihr.
»Morgen geht es nicht«, sagte sie und putzte sich die Nase. »Morgen ist die B-beerdigung.« Sie schloss einen Moment die Augen und schien zu schwanken. »Ich glaube - ich glaube, wenn ich das erst überlebt habe … wird es vielleicht …« Sie verstummte, als sei das Weitersprechen einfach zu anstrengend.
»Es wird besser«, sagte er entschlossen. Es musste besser werden , dachte er. Sonst überlebt das keiner von ihnen .
Irgendwann ließ sich Isobel von ihm in ihr Zimmer bringen. Ein verängstigt aussehendes Dienstmädchen zog sie hinein, und er setzte den Weg zu seinem eigenen Zimmer fort. Er wünschte, sein Pflichtgefühl würde zulassen, dass er der Familie ausrichten ließ, er fühle sich nicht gut und würde gern in seinem Zimmer zu Abend essen.
Das dumpfe Gefühl, das er empfand, besserte sich auch dadurch nicht, dass sich Tom Byrd wie immer als Quell verstörenden Wissens entpuppte, das er beim Tee von den Dienstboten erfahren hatte.
» Das überrascht mich gar nicht«, sagte er, nachdem ihm Grey kurz von Isobels Reaktion auf den Tod ihrer Schwester erzählt hatte. »Die Gräfin Ellesmere war schon fast tot, als sie angekommen sind, und Miss Elspeth sagt, das ganze Bett war mit Blut durchtränkt und der Teppich ringsum auch. Sie sagt, es lief einem in die Schuhe, wenn man darauf trat.«
Grey unterdrückte einen kurzen Schauer.
»Die Vorhänge auch, vollgespritzt wie beim Metzger«, fuhr Tom fort - offenbar war er fest entschlossen, einen korrekten Bericht abzuliefern. »Sie hat gesagt -«
»Wer ist denn Miss Elspeth?«, unterbrach ihn Grey, der keine weiteren grauenvollen Details hören wollte. »War sie dabei?«
»Ja, Mylord. Sie ist das alte Kindermädchen der Gräfin Ellesmere und Miss Isobels. Sie ist nach der Hochzeit mit nach Ellesmere gegangen, aber nach ihrem Tod ist sie zurückgekommen, um sich um das Kleine zu kümmern. Liebenswerte alte Schachtel.«
Tom stand vor dem Schrank und erwägte die Möglichkeiten.
»Ihr seid einer der Sargträger, Mylord?«
»Ja. Nehmen wir den Dunkelgrauen? Schwarzer Samt scheint mir doch ein wenig dramatisch zu sein.«
»Oh, nein, Mylord.« Tom schüttelte entschlossen den Kopf. »Für London vielleicht, aber wir sind hier auf dem Land. Sie erwarten schwarze Kleidung, und je dramatischer, desto besser.«
Grey lächelte kurz.
»Wahrscheinlich habt Ihr Recht. Ihr habt Euch zu einem guten Kammerdiener entwickelt, Tom.«
Tom nahm das Kompliment mit einem beiläufigen Kopfnicken zur Kenntnis.
»Das stimmt, Mylord. Aber Ihr würdet ja auch keinen roten Seidenanzug tragen und Euch einen Brillanten an die Nase stecken wie der Earl of Sandwich. Über dieses Begräbnis wird man noch monatelang reden.«
Grey bemerkte die schwache Betonung des Wortes »dieses« und fixierte Tom scharf.
»Wegen der tragischen Todesumstände der Gräfin, meint Ihr?«
»Aye, das - aber noch mehr wegen des Grafen. Wusstet Ihr, Mylord, dass es heißt, er hätte.. äh … selbst Hand an sich gelegt?« Tom wählte seine Worte feinfühlig und vermied es dabei, Grey anzusehen - was Grey verriet, wie akkurat der Dienstbotentratsch an der Jermyn Street Tom über den Familienskandal unterrichtet hatte. Wie lange wusste Tom wohl schon davon?, fragte er sich.
»Nein, das hatte ich nicht gehört.« Das war also der Grund für die Beklommenheit der Dunsanys, zumindest zum Teil. »Ist das allgemein bekannt? In der Öffentlichkeit, meine ich, nicht nur unter den Dienstboten hier?«
»Oh ja, Sir! Jack, der Hausdiener, sagt, die Wetten im Bells stehen drei zu fünf, dass sich der Vikar morgen stur stellen wird, wenn sie ihn in die Kirche tragen. Dass er sich weigern wird, ihn in geweihter Erde zu begraben, aye?«
»Der Vikar … Was? Wird der Graf etwa morgen auch beerdigt?« Er war erneut erschüttert. Er wusste gar nicht, wie er
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