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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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ihnen auf Vorwürfen ihrerseits und deutlichen Schuldgefühlen seinerseits beruhte - doch warum?
    Ihm war kalt, seit er hier eingetroffen war, dachte er. Natürlich brannte ein ordentliches Feuer, und es gab heißen Tee, Kaffee, Toast - doch die Kühle des Wetters, des Hauses und seiner Begleiter lähmte ihn bis auf die Knochen.

    »Oh!«, begann Lady Dunsany, als hätte sie sich auf eine Nadel gesetzt. »Das hatte ich ganz vergessen, Lord John. Heute Morgen ist ein Brief für Euch eingetroffen.«
    »Ein Brief?« Grey war verblüfft. Außer seiner Familie wusste niemand, dass er in Helwater war. Welcher Notfall mochte sie gedrängt haben, ihm einen Brief auf den Fersen folgen zu lassen? Der Bote musste ihn ja unterwegs überholt haben.
    Gedanken an Hal, die Tagebuchseite, die Verschwörung huschten ihm durch den Kopf. Doch was konnte vorgefallen sein, das nicht bis zu seiner Rückkehr warten konnte? Er nahm das zusammengefaltete Papier aus Lady Dunsanys Hand entgegen und rechnete damit, entweder Hals ungeduldige Zackenschrift oder die unordentlichen Schnörkel seiner Mutter zu erblicken - in seiner Familie hatte niemand eine elegante Handschrift -, doch die Adresse war von einer Hand verfasst, die ihm nicht vertraut war, rund und klar.
    Das Siegel war unmarkiert; er brach es stirnrunzelnd auf - und spürte dann, wie ihn eine derart außerordentliche Wärme durchströmte, dass sie selbst seine eisigen Zehen erreichte.
    Es gab keine Anrede. Der Brief war kurz:
     
    »Ich hätte Euch am liebsten ein Sonett geschickt, doch ich bin kein Poet, und die Worte eines anderen wollte ich nicht borgen - nicht einmal die Verse Eures Freundes, des Sub-Genius, so bedeutungsschwanger sie auch sein mögen.
     
    Ich wünsche Euch alles Gute bei Eurem Beileidsbesuch. Ich hoffe, Eure Pflicht dort ist schnell erfüllt und Ihr legt den Heimweg noch schneller zurück.
     
    Ich denke immerzu an Euch. «
     
    Er starrte voll Erstaunen auf den Brief und wurde erst unterbrochen, als sich Lord Dunsany leise grunzend bückte, um neben seinen Füßen etwas vom Teppich aufzuheben.
    »Was ist denn das?« Er hielt es hoch, und der Hauch eines
Lächelns glättete für einen Moment die Spuren seiner Trauer. Es war eine rhetorische Frage, da man deutlich erkennen konnte, dass der Gegenstand, den er in der Hand hatte, eine kurze, lockige dunkle Haarsträhne war, die mit einem roten Faden zusammengebunden war.
    »Sie ist herausgefallen, als Ihr Euren Brief geöffnet habt«, erklärte er und reichte sie Grey mit der Spur eines Blickes, der »Du alter Schlawiner« sagte. »Ich wusste ja gar nicht, dass Ihr eine Liebste habt, Lord John.«
    »Eine Liebste?« Lady Dunsanys Miene wurde noch neugieriger, und sie beugte sich zu ihm herüber, um sich die Haarlocke in seiner Hand genau anzusehen. »Eine dunkelhaarige Dame, wie ich sehe. Es ist aber nicht diese Miss Pendragon, von der uns Eure Mutter geschrieben hat, oder?«
    »Das halte ich für sehr unwahrscheinlich«, versicherte Grey ihr, während er den kurzen Schauer unterdrückte, der ihn bei dem Gedanken an Elizabeth Pendragon, eine reiche Erbin aus Wales mit einer sehr lauten Stimme und immensen Füßen, überlief. »Allerdings tappe ich selbst vollkommen im Dunklen - der Brief ist nicht unterzeichnet.«
    Er wedelte kurz mit dem Papier vor ihren Augen hin und her - zu kurz, als dass sie es hätte lesen können - und steckte es dann in seine Weste.
    »Ihr werdet ja rot, Lord John!« Lady Dunsany klang schwach belustigt.
    So war es tatsächlich, verdammt.
     
    Er lehnte das Angebot des Bediensteten, ihn nach dem Tee zu seinem Zimmer zu bringen, ab; er kannte das Haus gut. Doch sein Weg führte ihn am Kinderzimmer vorbei, und er stellte überrascht fest, dass die Tür offen stand und ein kräftiger Luftzug hindurchwehte, der die Vorhänge des Fensters auf der anderen Flurseite bewegte.
    Er warf einen Blick in das Zimmer, und im ersten Moment dachte er, es sei leer. Die Tür zu einem zweiten Zimmer, in dem zweifellos das Kind und seine Amme schliefen, war verschlossen;
dem Vorderzimmer konnte man nach wie vor ansehen, dass es den Dunsany-Kindern einmal als Schulzimmer gedient hatte. An der einen Wand stand ein langer, zerkratzter Tisch, an der anderen zogen sich Bücherborde voller eselsohriger, heiß geliebter Bücher entlang, und verblichene Landkarten, die die Welt, England und seine Kolonien zeigten, flatterten schwach im Schein eines flackernden Binsenlichts in einem Halter neben der Tür. Das Fenster am

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