Die Sünde der Brüder
den Tod des Grafen hatte vergessen können - oder vielmehr, natürlich wusste er das. Niemand hatte den verstorbenen Grafen
oder sein vorzeitiges, zufälliges Ableben nur mit einem Wort erwähnt. Alle sprachen nur von Geneva. Niemand im Haushalt der Dunsanys hatte etwas über den Grafen oder seine Beerdigung gesagt, und er war unbewusst davon ausgegangen, dass sie bereits stattgefunden hatte.
»Ja, Mylord.« Tom schien es sehr befriedigend zu finden, der Überbringer interessanter Neuigkeiten zu sein. »Der alte Graf hatte keine Verwandten, und Lord Dunsany war dafür, ihn im Stillen zu begraben, in der Kapelle von Ellesmere. Aber Lady Dunsany wollte nichts davon hören. Sie hat gesagt«, er senkte bedeutungsschwer die Stimme, »das würde einen suspekten Eindruck machen.«
»Ich bin mir absolut sicher, dass Lady Dunsany nichts dergleichen gesagt hat, aber ich verstehe, was Ihr meint, Tom. Und?«
»Und sie hat ihren Willen bekommen - wie die meisten Frauen«, belehrte ihn Tom. »Ihr solltet auf diese Lady Joffrey aufpassen, Mylord. Sie hat ein Auge auf -«
»Ja, ich weiß. Dann war es also Lady Dunsanys Idee, den Grafen zusammen mit seiner Frau zu beerdigen?« Mit Todesverachtung ein prunkvolles Begräbnis zu veranstalten und sich damit zu verbitten, dass irgendjemand behauptete, der Tod des Grafen sei etwas anderes als ein Unfall gewesen. Es war keine schlechte Idee, das musste er ihr lassen. Natürlich würde es dadurch kurzfristig mehr Gerede geben - doch wenn man den Vikar zwingen konnte, den Grafen in geweihter Erde zu begraben, würden die Gerüchte über einen Selbstmord verstummen, das Gerede würde eines natürlichen Todes sterben, und ihr Enkel würde nicht vom leisesten Hauch eines Skandals verfolgt werden.
Die gerichtliche Untersuchung war zu dem Ergebnis gekommen, dass es ein Unfall war, das wusste er. Natürlich waren die daran Beteiligten den Dunsanys wohlgesonnen, denn sie waren in der Gegend sehr beliebt. Doch wenn der Vikar beschloss, eine Szene zu machen … Kein Wunder, dass die Nerven der Dunsanys zum Bersten gespannt waren.
»Ja, Mylord. Sie waren sich sehr uneins, und der Entschluss ist erst heute Morgen gefallen, sagt Mr. Hanks. Aber der Vikar wird Bescheid wissen. Sie müssen ihn ja benachrichtigt haben, wenn er das Begräbnis durchführen soll.«
Ja, und zweifellos würde der Vikar die Nacht im Kampf mit seinem Gewissen verbringen, wenn er selbst Zweifel hegte.
Tom zögerte - offensichtlich hätte er gern eine Frage gestellt, war sich aber nicht sicher, wie diese aufgenommen werden würde.
»Sie haben gesagt - ist es wahr, Mylord, dass beim Selbstmord eines Adeligen die Krone seinen Besitz beschlagnahmen kann?«
Grey spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, doch er antwortete ruhig. Das war natürlich der Grund, warum man auf einen Unfall plädiert hatte.
»Ja. Mit der Begründung, dass Selbstmord ein Verbrechen gegen Gott ist und damit gleichzeitig gegen den Staat. Doch das ist nicht unausweichlich die Folge. Der König kann auf die Konfiskation verzichten - oder es kann festgelegt werden, dass der … Selbstmord stattgefunden hat, während die Person nicht Herr ihrer selbst war, womit sie von der Last des Verbrechens befreit wird.« Er holte tief Luft, drehte sich um und sah seinen Kammerdiener direkt an. »Das wurde über meinen Vater gesagt. Dass er den Verstand verloren hatte.«
Tom starrte ihn an, ausdruckslos, aber mit solchem Mitgefühl in den Augen, dass sich Grey wieder abwenden musste und vorgab, in einer der Satteltaschen, die man ihm nach oben gebracht hatte, nach etwas zu suchen.
»Tut mir so leid, Mylord«, sagte Tom schließlich so leise, dass Grey die Möglichkeit blieb, so zu tun, als hätte er ihn nicht gehört. Er schob die Hand in die Satteltasche und tastete darin herum, bis sich seine Faust um etwas Hartes schloss. Es spielte keine Rolle, was es war. Er schloss die Augen und drückte so fest zu, dass seine Fingerknöchel knackten.
»Danke«, sagte er genauso leise.
Als er die Augen wieder öffnete, war er allein.
7
Buße
Er konnte nicht schlafen. Es war schon spät gewesen, als er sich von Dunsany verabschiedete, der sich nach dem Abendessen mit Hilfe eines Dekanters voll Rotwein beinahe besinnungslos getrunken hatte. Grey hatte Dunsany seinem eigenen Kammerdiener anvertraut, der den alten Mann auf die Beine stellte und ihn dann sanft auf sein Bett zuschob. Nachdem der Graf murmelnd davongeschlurft war, hatte auch Grey sein Bett aufgesucht - und
Weitere Kostenlose Bücher