Die Sünde der Brüder
erspähte er Percy, der sich
gerade mit nackten Beinen und nur in Unterhemd und -hose in Greys Morgenrock hüllte, den Olivia offensichtlich aus seinem Zimmer entwendet hatte.
Er drehte ihm hastig den Rücken zu und schob ziellos den Arm durch die Rocköffnung, die ihm die Schneiderin hinhielt und von der er hoffte, dass es die richtige war. Der Stoff war ein schwerer, mitternachtsblauer Samt, und er war noch warm von Percys Körper. Er biss sich von innen auf die Wange und schmeckte Blut.
Die Schneiderin, die ihrerseits errötet war und lachte, sich aber weiterhin auf ihre Aufgabe konzentrierte, umkreiste ihn mit einem Stück Kreide und berechnendem Blick. Dabei ließ sie ihn die Arme heben und senken und sich hin und her bewegen. Als sie ihm befahl, sich zu bücken, brach ihm der Schweiß aus, und zu spät fiel ihm ein, dass er zum Reiten seine fleckige Lederhose angezogen hatte.
Es folgten weitere Heiterkeitsausbrüche, diesmal auf seine Kosten, doch das störte ihn nicht. Ihm kamen zwar Bedenken, als sich die Schneiderin zu seinen Füßen hinkniete, um die Taillennaht abzustecken, aber sie errötete nur ein wenig mehr und senkte sittsam den Blick, während ihr schüchternes Lächeln ihm sagte, dass sie es als persönliches Kompliment betrachtete; sie war eine hübsche junge Frau, und es war gewiss nicht das erste Mal.
Percy Wainwright wusste, wem das Kompliment galt. Er stimmte in das Lachen der Frauen ein und machte stichelnde Bemerkungen, doch sein Blick kehrte immer wieder neugierig zu Grey zurück. Er trug keine Perücke, und einmal fuhr er sich beiläufig mit der Hand durch das kurz geschnittene Haar, als wollte er seine dunklen Locken ordnen, und sah Grey an.
Und, habt Ihr sie bekommen? , sagte seine hochgezogene Augenbraue.
Grey zog ebenfalls die Augenbraue hoch.
Ja, und Ihr bekommt gleich auch etwas .
Percy grinste ihn an, wandte den Blick jedoch eine Sekunde zu früh ab, und jedes Mal, wenn er erneut hinsah, unterhielt
sich Percy mit Olivia, einem Dienstmädchen oder mit Tom - der jetzt ebenfalls eingetroffen war und keinen Hehl daraus machte, wie peinlich ihm der Zustand von Greys Hose war.
Was ging hier vor?, fragte er sich. Er irrte sich nicht, was die gegenseitige Anziehung betraf, das wusste er mit Gewissheit. Und während ihrer bisherigen Unterredungen hatte nichts darauf hingedeutet, dass Percy flatterhaft war oder gern kokettierte. Vielleicht war es ja nur Vorsicht, sagte er sich - Zurückhaltung, damit niemand bemerkte, was zwischen ihnen vor sich ging?
Als sie schließlich wieder ihre normalen Kleider trugen und die Schneiderin und ihre Gehilfin sich mit ihrer Ladung aus blauem Samt verabschiedet hatten, suchte er an der Tür zum Salon das Gespräch mit Percy.
»Melton sagt, ich habe die Ehre, Euch mit dem Regimentsalltag vertraut zu machen, mit Euren Pflichten und so weiter. Falls Ihr heute Nachmittag Zeit habt …?« Zum ersten Mal bedauerte er, dass er im Haus seiner Mutter wohnte. Obwohl ein Offiziersquartier in der Kaserne auch nicht viel besser gewesen wäre. Wie weit entfernt lag Percys Unterkunft?
»Das wäre mir lieber, als ich es ausdrücken kann«, erwiderte Percy. »Aber leider habe ich zu tun.« Das Bedauern in seiner Stimme schien echt zu sein, doch Grey empfand seine Antwort dennoch als kleinen Schlag.
»Morgen vielleicht -«, begann er, doch er sah, wie Percy entschuldigend das Gesicht verzog.
»Ich habe … in Bath zu tun«, sagte er rasch. »Ich bin erst in zwei oder drei Tagen zurück. Eigentlich hätte ich heute Morgen schon aufbrechen sollen - ich komme schon zu spät -, doch ich hatte gehofft, Euch vor meiner Abreise noch einmal sehen zu können«, fügte er leise hinzu. Bei diesen Worten sah er Grey direkt an, und Grey spürte, wie seine Enttäuschung ein wenig nachließ, wenn auch nicht seine weniger noblen Bedürfnisse.
Bath, ha, ha! , dachte er. Doch der Mann hatte natürlich ein Recht auf seine Privatsphäre, wenn er nicht sagen wollte, was er zu tun hatte. Percy schuldete ihm nichts - noch nicht.
»Dann sucht mich nach Eurer Rückkehr auf«, sagte er. Er klopfte Percy kurz auf die Schulter. »Gute Reise.« Er wandte sich ab, und ohne zurückzublicken ging er hinaus, um sich seine eigene Privatsphäre zu suchen.
10
Salle des Armes
Als er am Abend zu Hause eintraf, stellte er fest, dass auch die Gräfin von ihrem Ausflug zurückgekehrt war. Er begab sich in ihr Boudoir, um sie zu begrüßen, und traf sie bei bester Laune an, selbst wenn sie ein
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