Die Sünde der Brüder
wenig blass von der Reise war und ihre Augen von einigen Sorgenfältchen umringt waren. Er ging davon aus, dass diese die natürliche Folge ihrer Entdeckung waren, welches Ausmaß Olivias Ambitionen bei der Planung der Hochzeit angenommen hatten.
Daher gab er sich alle Mühe, sie mit einem Bericht über die Anprobe am Nachmittag abzulenken, und opferte sogar seine eigene Würde, indem er seine fleckige Hose und Percys Unterhose nicht ausließ.
»O je, o je - der arme Tom.« Die Gräfin prustete leise. »Er nimmt seine Aufgabe so furchtbar ernst, Gott steh dem armen Jungen bei. Ich glaube, du stellst ihn auf eine harte Probe.«
»Ja, und er hat so gehofft, Percy Wainwright wäre ein Dandy - man konnte genau sehen, wie ihm die Visionen von bestickten Westen und verzierten Seidenstrümpfen durch den Kopf tanzten - doch ich war leider gezwungen, seine Hoffnungen zu zerstören.«
Die Gräfin lächelte erneut, doch ihre Stimme war ernst.
»Magst du Percy Wainwright?«
»Ja«, antwortete er, ziemlich überrascht über diese Frage. »Ja, wir kommen sehr gut miteinander aus. Gemeinsame Interessen und so weiter.« Er hoffte, dass seinem Gesicht nicht anzusehen war, wie weit die Gemeinsamkeiten gingen. Er räusperte sich und fügte hinzu: »Den General mag ich auch, Mutter - sehr sogar.«
»Oh, wirklich?« Ihr Gesicht entspannte sich. »Das freut mich, John. Er ist ein guter Mensch - und so liebenswert.« Dann spitzte sie die Lippen, wenn ihre Miene auch nach wie vor Belustigung ausdrückte. »Ich bin mir nicht sicher, ob dein Bruder genauso hingerissen von ihm ist. Aber Hal ist ja immer so argwöhnisch, der arme Junge. Manchmal glaube ich wirklich, er traut niemandem außer dir und seiner Frau. Nun, und natürlich Harry Quarry.«
Die Erwähnung seines Bruders erinnerte Grey wieder an alles. Im Trubel der Ereignisse nach seiner Rückkehr aus Helwater, der Hochzeitsvorbereitungen und der neuen Marschorder hatte er es kurz vergessen.
Doch inzwischen musste Hal ja genug Zeit gehabt haben, mit ihr zu sprechen.
»Mutter - hat Hal dir von der Seite aus Vaters Tagebuch erzählt, die wir in seiner Amtsstube gefunden haben?«
Wenn er bis jetzt gedacht hatte, dass sie blass war, so hatte er sich geirrt. Er hatte sie schon blass vor Erschöpfung und weiß vor Wut erlebt. Jetzt jedoch verlor ihr Gesicht innerhalb einer Sekunde jede Farbe, und der Ausdruck der Angst in ihren Augen war nicht zu übersehen.
»Hat er das?«, wiederholte er, um einen beiläufigen Tonfall bemüht. »Ich habe mich nur gefragt, ob du möglicherweise auch eine bekommen hast. Mit der Post vielleicht?«
Sie sah zu ihm auf, und ihre Augen leuchteten durchdringend.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Durch die Art, wie du vor meiner Abreise nach Helwater von James Fraser gesprochen hast«, sagte er unverblümt. »Irgendetwas muss dich sehr verstört haben, um dich plötzlich derart Notiz von dem Mann nehmen zu lassen; du weißt doch schon seit Jahren von ihm. Aber da das Einzige, was du von ihm weißt, die Tatsache ist, dass er einmal ein bedeutender Jakobit war …?«
Er hielt inne, weil er sie nicht noch weiter verstören wollte, doch sie schwieg. Ihre Augen glühten wie ein Brennglas, doch
ihr Blick war nicht länger auf ihn gerichtet. Was auch immer sie ansah, lag weit, weit weg.
»Ja«, sagte sie schließlich mit abwesender Stimme. Sie kniff die Augen zu, öffnete sie wieder und sah ihn an. Ihr Blick war zwar noch scharf, aber nicht mehr so brennend. »Dein Vater hat immer schon gesagt, du wärst der größte Schlaukopf unter den Jungen.« Der Tonfall, in dem sie dies sagte, klang nicht nach einem Kompliment. »Was das ›er war einmal ein bedeutender Jakobit‹ angeht - ›war‹ ist das falsche Wort, John. Glaube mir, einmal Papist, immer Papist.«
Er verzichtete darauf, sie darauf hinzuweisen, dass ›Papist‹ nicht unbedingt dasselbe war wie ›Jakobit‹. Wenn Politik ins Spiel kam, war es mit den Prinzipien oft vorbei. Es war zwar tatsächlich so, dass die meisten Papisten die Sache der Stuarts unterstützt hatten, doch es gab auch eine ganze Reihe Protestanten, die das ebenfalls getan hatten, entweder aus persönlichem Opportunismus oder aus der aufrichtigen Überzeugung, dass James Stuart trotz seiner Religion der von Gott ernannte Regent Großbritanniens war.
»Dann hast du also eine Seite aus dem Tagebuch erhalten«, sagte er, und diesmal formulierte er es als Feststellung, nicht als Frage. »Darf ich sie sehen?«
»Ich habe sie
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