Die Sünde der Brüder
halb Gehängten an den Beinen packten und daran zogen, um seinen Tod zu beschleunigen. Er hatte jemanden dafür bezahlt, diesen Dienst an Bates zu versehen, wenn es nötig wurde. Doch es lief niemand nach vorn, und er sah nur, wie die Wächter aus Newgate verächtlich zuschauten und ausspuckten, während Bates an seinem Strick schlingerte und zuckte.
Er überlegte gar nicht. Er rammte sich seinen Weg durch die Menschen vor ihm. Die überraschten Wachtposten sahen seine Uniform und ließen ihn durch.
Einer von Bates’ um sich schlagenden Füßen traf ihn am Ohr, der andere an der Brust. Er sprang, klammerte sich mit den Armen an die panischen, muskulösen Oberschenkel, als hinge sein Leben davon ab - und dann zog sein Gewicht den
Mann in die Tiefe. Der Moment, in dem Bates’ Halswirbel auseinanderrissen, durchfuhr ihn vibrierend wie das Bersten einer gespannten Saite, und er stürzte in den Schlamm zu Füßen des Galgens.
15
Eine pikante Aufgabe
An der Haustür seiner Mutter verabschiedete er sich von Hauptmann MacNeill und Hauptmann MacLachlan, zwei Offizieren der Scotch Greys, die ihn in Tyburn vor dem Pöbel gerettet hatten.
»Ihr habt es ja sicher gut gemeint«, sagte MacNeill etwa zum vierten Mal zu ihm. »Aber Euer Leben zu riskieren, um einen Päderasten eine Sekunde schneller zur Hölle zu schicken, Mann? Verrückt!«
MacLachlan, ein mürrischer, wortkarger Mann, pflichtete ihm kopfschüttelnd bei.
»Trotzdem würde ich gern ein oder zwei von den Kerlen in die Finger kriegen«, fuhr MacNeill mit finsterer Genugtuung fort. »Denen würde ich schon beibringen, es sich beim nächsten Mal gut zu überlegen!«
Grey war sich nicht sicher, welche Kerle MacNeill meinte - Päderasten oder die Witzbolde aus der Menge, die versucht hatten, ihn in einer Pfütze zu ertränken. Die Nachfrage erschien ihm auch nicht lohnenswert. Er versuchte, ihnen etwas Geld aufzudrängen, damit sie auf seine Gesundheit anstoßen konnten, wurde aber steif unterrichtet, dass sie beide Presbyterianer seien und abstinent lebten, woraufhin er sich noch einmal bedankte und ins Haus humpelte.
Seine Cousine Olivia watschelte gerade die Treppe hinunter. Bei seinem Anblick blieb sie stehen und hielt sich mit vor Schreck geweiteten Augen die Hand vor den Mund.
»John! Was ist passiert?«
Er öffnete den Mund, um es ihr zu erklären, überlegte es sich dann aber anders.
»Ich, äh, bin auf der Straße von einer Kutsche überrollt worden.« Er lehnte sich an die Wand, um sie vorbeizulassen, und begriff zu spät, dass er Schmutzflecken auf der Tapete hinterließ. Olivia betrachtete ihn besorgt, dann rief sie den Butler.
»Brunton, holt sofort einen Arzt!«
»Nein, nein! Es geht schon, mir fehlt nichts. Ich … ich … nehme nur ein Bad und gehe dann zu Bett.« Er war schon im Begriff, zu flüchten und die Treppe hinaufzugehen, als sich die Salontür öffnete und Percy Wainwright herauskam.
Seine Augenbrauen fuhren in die Höhe, als er Grey sah, doch er sagte nichts. Er machte lediglich auf dem Absatz kehrt, ging in den Salon zurück und tauchte sofort mit einem Glas Wein wieder auf, das er Grey in die Hand drückte.
»Ich wollte mich eigentlich mit Euch und Melton über das Regiment unterhalten«, sagte Percy und betrachtete ihn genauso besorgt wie Olivia. »Aber ich komme lieber ein andermal wieder.«
Grey schüttelte den Kopf, weil er den Mund voller Wein hatte, und schluckte.
»Nein, bleibt«, sagte er heiser. »Hal kommt auch?«
Die Haustür öffnete sich, und sein Bruder trat ein - um bei Greys Anblick zu erstarren.
»Ja, ich weiß«, sagte Grey matt. »Geh und unterhalte dich mit Wainwright, ja? Ich komme gleich herunter.«
Hal ignorierte seine Worte und trat stirnrunzelnd näher.
»Was zum Teufel ist denn mit dir passiert?«
»Er ist auf der Straße unter eine Kutsche gekommen!«, fiel Olivia ein. Entrüstet wandte sie sich an ihren Vetter: »Haben sie denn nicht einmal angehalten, um nachzusehen, ob du verletzt bist, Johnny?«
»Du bist unter eine Kutsche gekommen?« Angelockt durch den Aufruhr, erschien die Gräfin oben an der Treppe. Ihre Miene war alarmiert. »John! Ist dir etwas passiert?«
Grey rieb sich die Stirn. Das war ja ein schöner Lohn für seine guten Absichten, dachte er bitter.
»Nicht das Geringste«, sagte er, wenn auch vorsichtig, denn seine Unterlippe war aufgeplatzt, und sein Kinn war geschwollen. Die Zähne auf der linken Seite fühlten sich locker an, doch das würde sich wahrscheinlich
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