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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Gesicht durch den Schmutz noch zu erkennen war. Eine letzte Salve von Steinen ließ ihn zurückweichen, und er hielt seine Bibel an die Brust geklammert, als könnte sie ihm ein buchstäblicher, nicht nur ein seelischer Schutzschild sein.
    »Nieder mit den Mon-stern! Nieder mit den Mon-stern!« Dieser Schlachtgesang kam von einer Gruppe bunt gekleideter Prostituierter, die sich beieinander eingehakt hatten, um nicht getrennt zu werden, und im Rhythmus des Gesangs hin und her schunkelten. Eine rivalisierende Gruppe verlieh ihrem Abscheu gegen »Perwerse SCHWEINE!« mit fehlerhaft buchstabierten Plakaten Ausdruck. Er erkannte Madame Mags, elegant in schwarzem Taffetta und Goldbrokat, und eine Reihe ihrer Mädchen. Zum Glück waren sie alle viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu amüsieren, um ihn zu bemerken.
    Andere Gesänge noch anstößigeren Inhalts verschafften sich rücksichtslos im allgemeinen Lärmen Gehör. Die meisten Steinewerfer, so sah er, waren Frauen - und zwar keine Prostituierten, sondern Hausfrauen, Serviermädchen, Dienstmägde, deren Gesichter unter den sittsamen Hauben zu hasserfüllten Fratzen verzerrt waren.
    Man half jetzt den Gefangenen vom Karren herunter, und einige Männer des Sheriffs drängten die Menge mit Knüppeln
und Hellebarden zurück. Die Männer eilten auf die Stufen zu, als sei der Galgen ein Ort der Zuflucht. So war es wohl auch.
    Jetzt konnte er Bates ausmachen, eine kräftige Gestalt in der Mitte, aufrecht und mit erhobenem Kopf. Die Farben seiner Gardeuniform waren unter dem Schmutz gerade noch erkennbar.
    Der schlanke junge Mann zu seiner Rechten trug ebenfalls Uniform; das musste Otway sein, und der schmächtige, gebeugte Mann in Zivilkleidung war dann sicher Jeffords. Ein Stein traf Bates vor die Brust, und er stolperte einen Schritt rückwärts, fing sich dann aber wieder, trat entschlossen vor und richtete den Blick mit entblößten Zähnen auf die Menge - es war genauso gut möglich, dass er sie angrinste wie anknurrte. Die Reaktion war ein erneuter Hagel von Geschossen und verbalem Gift. Es gab Kriminelle, die in Tyburn ein ruhmreiches Ende fanden, begleitet von Geigenspielern und Blumen. Für Sodomiten galt das nicht.
    Grey schob sich zwischen zwei Lehrjungen hindurch, die versuchten, sich vorzudrängeln, und stieß dem einen so fest den Ellbogen in die Seite, dass der junge Mann aufschrie und fluchend zurückwich. Er konnte Bates’ Blick über die Menge schweifen sehen, und obwohl er es besser wusste, winkte er mit den Armen und rief: »Bates!«
    Wie durch ein Wunder hörte ihn der Mann. Er sah, wie sich seine scharfen Augen auf ihn hefteten und unter dem Schmutz und den Kratzern so etwas wie ein Lächeln erschien.
    Er spürte eine verstohlene Hand in seiner Tasche und fasste danach, doch es war eine kleine Hand, und der Möchtegern-Taschendieb - ein Kind von sieben oder acht - entwand sich seinem Griff und verschwand in der Menge. Es gelang ihm gerade noch, den Komplizen des Kindes daran zu hindern, sich in der Zwischenzeit mit seinem Dolch davonzumachen, und als er dann sein Augenmerk wieder auf den Galgen richten konnte, war der Henker dabei, die Männer unter den baumelnden Schlingen in Position zu bringen.

    Otway schrie, ein schrilles Geräusch, das im Lärmen der Menge kaum zu hören war. Dennoch bemerkte es die Menge und äffte es unter melodramatischem Jammern nach, während sich Otway in Todesangst wehrte und mit weit aufgerissenen Augen um sich trat wie ein verängstigtes Pony.
    Grey stellte fest, dass sich seine Fäuste fest um Schwert und Dolch geklammert hatten. »Um Himmels willen«, dachte er gequält und ungeduldig, »kannst du nicht wenigstens wie ein Mann sterben?«
    Dünne weiße Säcke wurden den Gefangenen über die Köpfe gestülpt, und die Schlingen wurden zurechtgezogen, während der Prediger langsam hinter den Männern auf und ab ging und aus seiner Bibel las, selbst wenn seine Worte nicht zu hören waren. Alles schien mit der grauenhaften Langsamkeit eines Alptraums vor sich zu gehen, und Grey hatte plötzlich das Gefühl, er hätte vergessen, wie man atmet.
    Dann wurden die Falltüren geöffnet, und die Männer fielen, bis ein grauenhafter Ruck sie bremste. Beifallsrufe und Schreie stiegen aus der Menge auf. Otway hing sofort reglos da, sein Genick war sauber gebrochen. Die beiden anderen tanzten in der Luft, und ihre Beine suchten nach Halt.
    Grey sah sich panisch nach den Halsbrechern um, jenen Männern, die - gegen Bezahlung - einen

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