Die Sünde der Brüder
wüsste, wenn Ihr es einrichten könntet, Euch bis zu meiner Rückkehr nicht wieder zu Brei schlagen zu lassen.«
Grey hätte ihm geantwortet, doch an diesem Punkt klopfte es diskret an der Tür. Sie öffnete sich und gab Tom Byrd preis, der einen Morgenrock und ein Handtuch über dem Arm trug und Wainwright zunickte, bevor er den Blick drohend auf Grey richtete.
»Ihr solltet Euch besser ausziehen, Mylord. Euer Bad wird kalt.«
16
In welchem eine Verlobung gelöst wird
Trotz seiner Verletzungen schlief Grey wie ein Stein, und er stand erst spät auf. Er frühstückte gerade genüsslich und allein in Morgenrock und Filzpantoffeln, als Tom Byrd in der Tür des Speisezimmers erschien. Seine Miene war dermaßen alarmiert, dass Grey seine mit Butter bestrichene Toastscheibe fallen ließ und sich erhob.
»Was?«, sagte er scharf.
»Es ist der General, Mylord.«
»Welcher General? Meint Ihr Sir George?«
»Ja, Mylord.« Tom sah sich hastig um, dann trat er ein und schloss die Tür.
»Was in aller Welt -«
»Brunton weiß nicht, was er tun soll, Mylord«, unterbrach ihn Tom im heiseren Flüsterton. »Er wagt es nicht, den General ins Haus zu lassen, aber er wagt auch nicht, ihn abzuweisen. Er hat ihn gebeten, einen Moment zu warten, und jetzt soll ich Euch schnell holen.«
»Wieso zum Teufel sollte Brunton ihn denn nicht ins Haus lassen?« Grey war schon auf dem Weg zur Tür und strich sich die Krümel von den Ärmeln.
»Wahrscheinlich hat es ihm die Gräfin so aufgetragen«, sagte Tom hilfsbereit.
Grey erstarrte, denn er traute seinen Ohren nicht.
»Was? Warum sollte sie so etwas tun?«
Tom biss sich auf die Lippe.
»Sie, äh, hat die Verlobung gelöst, Mylord. Und Sir George, er sagt, er will wissen, warum.«
»Was kann sie damit meinen, Lord John?« Sie hatten Sir George von der Eingangstreppe gerettet. Er war die Aufregung in Person; seine Perücke saß schief, und seine Weste war schräg zugeknöpft. »Sie hat nicht den geringsten Grund angegeben.«
»Sie hat Eure Vereinbarung schriftlich aufgelöst?«
»Ja, ja, sie hat mir heute Morgen eine Note geschickt …« Sir George kramte suchend in seinen Taschen herum und brachte schließlich ein zerknittertes Stück Papier zum Vorschein, welches in der Tat nichts weiter enthielt als die schlichte Feststellung der Gräfin, dass ihr eine Heirat bedauerlicherweise nicht möglich erscheine.
»Ich bin kein gutaussehender Mann«, sagte Sir George, indem er einen mitleiderregenden Blick in den Spiegel über der Anrichte warf und einen vergeblichen Versuch unternahm, seine Perücke gerade zu rücken. »Ich weiß, dass ich äußerlich nicht viel hermache. Ich habe zwar Geld, aber das braucht sie natürlich nicht. Ich war fest davon ausgegangen, dass sie meinen Antrag ablehnen würde - aber nachdem sie einmal angenommen hatte … Ich schwöre Euch, Lord John, ich habe nichts - nichts - getan, was man mir irgendwie vorwerfen könnte. Und wenn ich sie irgendwie verärgert habe, sollte ich mich natürlich auf der Stelle entschuldigen, doch wie kann ich das tun, wenn ich keine Ahnung habe, woran es liegt, und sie sich weigert, mich zu sehen?«
Grey empfand Mitgefühl mit Sir George und Verblüffung über das Verhalten seiner Mutter.
»Wenn Ihr gestattet, Sir?« Er drehte den General sanft zu sich hin, knöpfte ihm die Weste auf und knöpfte sie ordentlich wieder zu. »Man sagt ja, dass Frauen launisch sind und sich manchmal irrational aufführen.«
»Nun ja, das sagt man«, pflichtete ihm der General bei, der sich ein wenig beruhigt zu haben schien. »Und ich kenne gewiss eine ganze Reihe von Frauen, auf die dies zutrifft . Hätte eine von ihnen mir eine solche Note geschickt, hätte ich einfach einen oder zwei Tage gewartet, um sie ihre Fassung wiederfinden
zu lassen, dann hätte ich sie mit einem Arm voll Blumen besucht, und alles wäre gut.« Er lächelte trostlos.
»Aber Eure Mutter ist nicht so. Ganz und gar nicht«, wiederholte er und schüttelte hilflos verwirrt den Kopf. »Sie ist die logischste Frau, der ich je begegnet bin. So sehr sogar, dass manche Menschen es als undamenhaft empfinden würden. Ich natürlich nicht«, fügte er hastig hinzu, damit Grey dies nicht als Beleidigung auffasste. »Nicht im Geringsten!«
Dies war wahr - seine Mutter war nicht nur logisch, sondern machte auch keinen Hehl daraus - und gab Grey erneut Grund zur Verwunderung.
»Hat sich vielleicht… in den letzten Tagen irgendetwas zugetragen?«, fragte er. »Denn das ist die
Weitere Kostenlose Bücher