Die Suende der Engel
trinken?«
Janet zögerte. »Andrew...« Sie wußte, was unweigerlich geschehen würde, wenn sie mit ihm hinaufging, wußte es deshalb so genau, weil es im Augenblick fast nichts gab, was sie so sehr gewollt hätte. Ein winziger Rest an Loyalität gegenüber Phillip hielt sie zurück.
Andrew nahm ihre Hand. »Janet, ich brauche dir ja wahrscheinlich nichts vorzumachen, ich würde sehr gern mit dir schlafen. Aber das entscheidest du. Es ändert sich nichts zwischen uns, wenn du wirklich nur etwas mit mir trinkst und ich dich dann ins Hotel bringe. Okay?«
»Okay«, sagte Janet und öffnete die Wagentür. Eine Sekunde des Zögerns schien ihr zur Wahrung des Anstands gegenüber ihrem Ehemann ausreichend zu sein; für den Rest der Nacht würde sie ihn vergessen.
SONNTAG, 4. JUNI 1995
»Ich habe einfach kein gutes Gefühl dabei, Tina so allein in die Welt hinausmarschieren zu lassen«, sagte Dana. Sie saß am Küchentisch in der Wohnung ihrer Mutter und lackierte ihre Fingernägel. Karen Graph, ihre Mutter, hatte sich in der Ecke auf einem Schafwollteppich ausgestreckt; sie lag auf dem Rücken, hielt beide Arme in die Seiten gestützt und ein Bein steil in die Höhe gerichtet. Neben ihr, an die Wand gepinnt, hing ein Zettel mit aufgezeichneten Übungen zur Straffung des Gewebes und Stärkung der Muskulatur. Karen hatte stets irgendeine Phase, in der sie ein Projekt mit fanatischer Konsequenz verfolgte. Derzeit widmete sie sich mit Hingabe ihrem Körpertrainingsprogramm. Dana hatte die Phase davor besser gefallen: Einige Wochen lang hatte es sich Karen in den Kopf gesetzt, eine raffinierte Köchin zu werden, hatte sich mit Kochbüchern eingedeckt und Berge von Lebensmitteln herangeschleppt. Einiges war ziemlich danebengegangen, aber sie hatte auch einige sehr gelungene Gerichte auf den Tisch gebracht. Wie gewöhnlich hatte sie von einem Tag zum anderen damit aufgehört und sich auf den nächsten Trip begeben. Jetzt gab es vorwiegend Müsli und Rohkost, aber Dana unterstützte ihre Mutter dennoch auch in dieser Sache. Hauptsache, Karen richtete ihre Energie auf irgend etwas. Denn in den Zeiten dazwischen litt sie unter Depressionen und trank zuviel, und das war das allerschlimmste.
»Du solltest froh sein, daß sie endlich einmal etwas Selbständiges unternimmt«, sagte Karen nun auf Danas Bemerkung hin. Sie hörte sich etwas gepreßt an, denn sie hielt ihr Bein nun schon eine ganze Weile in die Luft. »Sie kann doch nicht immer nur daheim bei ihrem Vater sitzen und sich von ihm beschützen lassen!«
»Nein. Deshalb habe ich ihr zuerst ja auch dringend zu dieser Reise geraten. Genaugenommen war es überhaupt meine Idee.« Dana spreizte ihre Finger und wedelte sie durch die Luft, um den Nagellack trocknen zu lassen. »Und jetzt fühle ich mich gar nicht mehr wohl dabei.«
»Wann fahren die beiden denn?«
»Morgen früh brechen sie auf.«
»Ich würde auch gern in die Provence reisen«, sagte Karen seufzend.
»Versuche doch, bei einer Zeitung einen Auftrag für einen Reisebericht zu ergattern«, schlug Dana vor. »Über die Côte d’Azur. Wir könnten sowieso dringend etwas Geld gebrauchen.«
»Ich weiß.« Mit einem erleichterten Aufatmen ließ Karen ihr Bein auf den Teppich sinken und verharrte einen Moment, ehe sie das andere anhob und in die Luft streckte. »Aber im Augenblick herrscht absolute Flaute. Niemand hat Arbeit für mich.«
»Vielleicht solltest du versuchen, etwas seriöser aufzutreten«, meinte Dana vorsichtig. Karen lief ihrer Ansicht nach viel zu schrill herum. Jeder Chefredakteur mußte erst einmal zurückzucken, sobald er ihrer ansichtig wurde. Dana fand es idiotisch, Menschen nach ihrem Äußeren zu beurteilen, aber sie wußte, daß es auf irgendeine Weise praktisch jeder tat, und man mußte mit den Wölfen heulen, wollte man Erfolg haben. Karen mit ihren stoppelkurz geschorenen, karottenrot gefärbten Haaren, mit ihrer Vorliebe für Leggins in Schockfarben und für
übergroße Ohrringe, würde nie die Aufträge bekommen, die sie haben wollte und für die sie durchaus befähigt gewesen wäre. Ihr jedoch dies zu sagen, erforderte äußerstes diplomatisches Geschick, und Dana wollte einen geeigneten Moment abwarten.
»Ach, irgendwann kommt schon mal wieder etwas«, sagte Karen fröhlich. Sie ließ das Bein sinken, setzte sich auf und sah ihre Tochter an. »Mach nicht so ein Gesicht! Ist es wegen Tina? Du bist ja eine schlimmere Glucke als ihr Vater!«
»Ich mag diesen Mario nicht«, meinte
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