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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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abgewöhnt, hatte sie so weit in versteckte Tiefen seines Inneren abgedrängt, daß ihn die Heftigkeit, mit der sie ihn nun überfiel, zutiefst verstörte. Warum tat es noch so weh nach all den Jahren? Er hatte sich längst damit abgefunden - das hatte er jedenfalls geglaubt -, daß Janets Gefühle für ihn rein freundschaftlicher Natur waren. Sie hatte ihn gern, sah in ihm einen zuverlässigen Lebensgefährten, mit dem gemeinsam
sich die kleinen Hürden des Alltags besser nehmen ließen als allein. Phillip, der Vater ihrer Kinder, hin und wieder eine Schulter zum Anlehnen. Eine beschissene Rolle im Grunde, die sie ihm zugedacht hatte.
    Aber, dachte Phillip nun, während er in kleinen Schlucken seinen Cognac trank und dabei in den sommerlichen Abend hinaussah, was habe ich auch je getan, um meine Situation zu ändern? Nichts. Absolut nichts. Ich hab’ mich verdammt gut arrangiert mit den Dingen, wie sie eben waren.
    Janet war achtzehn gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Sie war als Au-pair-Mädchen von England nach München gekommen. Um die Sprache zu lernen, wie sie sagte. Wie sich später herausstellte, hatte sie in Wahrheit den verzweifelten Versuch unternommen, Andrew Davies zu vergessen.
    Phillip eignete sich als Helfer. Er war noch Student und führte ein geselliges Leben, er sah gut aus und hatte viele Freunde. Er nahm Janet mit, wohin er auch ging, sorgte dafür, daß sie nicht allein herumsaß und zu grübeln begann. Sie gingen auf Parties, ins Kino und Theater, sie wanderten in den Bergen und verbrachten einen wunderbaren Sommer bei Bekannten in Südfrankreich. Ein Dreivierteljahr lang blieb ihre Beziehung rein platonisch, obwohl sich Phillip längst heftig in Janet verliebt hatte. Als sie endlich seine Geliebte wurde, spürte er, daß viel Resignation dahinter steckte und wenig Leidenschaft. Er hatte das hingenommen, dabei auf die Wirkung der Zeit gehofft, auf etwas gewartet, das schließlich nie eintrat. Im Grunde hoffte er sogar jetzt noch, da er gerade ihr »Hallo« aus Davies’ Telefonapparat vernommen hatte. Er würde bis ins Grab warten, hoffen. Und sich lächerlich machen.
    Ich bin ein echter Verlierer, sagte er sich, verlieren
kann jeder, aber ein echter Verlierer ist einer, der gegen seine Niederlage nicht einmal kämpft. Der sie hinnimmt, als gehöre sie unlösbar zu ihm.
    Und wahrscheinlich tat sie das auch. Die Niederlage war eine Bestimmung, die dem Verlierer von Anfang an zugedacht war, und er wußte es. Deshalb nahm er sie hin und arrangierte sich in seiner Rolle.
    Er stand lange Zeit so am Fenster und merkte nicht, daß es draußen Nacht wurde, eine warme, klare Juninacht, in der Glühwürmchen über den Wiesen tanzten. Erst als er die Haustür klappern hörte, zuckte er zusammen und erwachte aus seiner Versunkenheit. Mario kam ins Zimmer.
    »Du bist noch wach?« fragte er verwundert. »Und warum stehst du da im Dunkeln?«
    Phillip wandte sich um. »Ich habe nachgedacht. Kommst du von Maximilian?«
    »Ja, aber ich bin auch noch in der Gegend herumgefahren. Es ist eine sehr schöne Nacht.«
    »Ich habe das gar nicht so genau gemerkt«, gestand Phillip. Unschlüssig drehte er das leere Glas zwischen den Händen. »Hast du schon gepackt? Ihr wollt doch ziemlich früh los morgen.«
    »Nein. Ich muß das jetzt noch machen.«
    Er will nicht fahren, dachte Phillip.
    Er wußte, daß er sich darüber hätte Gedanken machen müssen, aber er hatte zu viele eigene Sorgen, war zu müde von all den Problemen, die ihn bedrängten.
    »Ich gehe schlafen«, sagte er, »weck mich dann bitte, egal, wie früh du aufbrichst.«
    Er wollte das Zimmer verlassen, doch Mario hielt ihn am Arm fest.
    »Hast du irgend etwas von Janet gehört?»
    »Nein«, sagte Phillip nur und ging hinaus.

    »Kann ich Sie einen Moment sprechen, Herr Professor?« fragte Maximilian. Er hatte Echinger auf dem Gang vor dessen Arbeitszimmer abgefangen. In der ganzen Klinik herrschte Stille, fast alle schliefen schon oder hielten sich wenigstens in ihren Zimmern auf. Echinger hatte einen seiner langen, späten Abendspaziergänge unternommen und würde noch ein oder zwei Stunden am Schreibtisch sitzen. Er kam mit unglaublich geringen Mengen Schlaf aus und verursachte bei jedem seiner Mitarbeiter Schuldgefühle, weil man sich in seiner Gegenwart unweigerlich wie ein hoffnungsloser Faulpelz vorkam.
    »Herr Beerbaum!« sagte der Professor überrascht. »Sie schlafen noch nicht? Ich habe Sie übrigens auch beim Abendessen vermißt. Sonst

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