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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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gewartet. Daraus schloß ich, daß Sie reden wollen.«
    »Ich habe es mir anders überlegt«, sagte Maximilian. Er ging zur Tür, blieb dort jedoch, die Hand auf der Klinke, stehen. »Ich glaube, ich will nicht wissen, was ich beim Gedanken an meine Mutter und Andrew Davies empfinde. Verstehen Sie?«
    »Durchaus«, sagte Echinger. Er stand ebenfalls auf, sah Maximilian abwartend an. Der öffnete die Tür, wollte hinausgehen, wandte sich jedoch noch einmal um.
    »Was gibt Ihnen die Sicherheit, daß ich gesund bin, Herr Professor?«
    »Wie?«
    »Daß ich hier herauskomme, liegt in erster Linie an Ihrem Gutachten.«
    »Nein. Es liegt in mindestens ebenso starkem Maße an den Gutachten der unabhängigen Sachverständigen, die vom Gericht bestimmt wurden.«
    »Okay. Aber Ihr Urteil wiegt schwer nach sechs Jahren. Was gibt Ihnen die Sicherheit?«
    »Sie geben sie mir. Ganz einfach.«
    »Aber Sie laden auch einige Verantwortung auf sich, nicht? Was, wenn Sie sich irren?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern trat hinaus auf den Flur, schloß leise die Tür hinter sich.
    Echinger schüttelte den Kopf und setzte sich wieder. Spiele dieser Art, von Patienten ausgehend, kannte er. Ein Therapeut lud ein zum Provozieren, das ergab sich
fast zwangsläufig aus der Situation. Nichts, weswegen er sich aufregen oder gar ärgern müßte.
    Maximilian Beerbaum zählte zu den erfolgreichsten Fällen seiner Laufbahn. In den ersten zwei Jahren hatten es seine Depressionen fast unmöglich gemacht, überhaupt an ihn heranzukommen, und er war in hohem Maße suizidgefährdet gewesen, hatte ständig bewacht werden müssen. Aber dann wurde es besser, er begann sich zu öffnen; langsam, in kleinen Schritten gewann Echinger sein Vertrauen und seine Bereitschaft, mit ihm zu arbeiten. Heute würde er seine Hand dafür ins Feuer legen, daß Maximilian gesund war. Würde er das?
    Mit einem Seufzer nahm er ein Buch zur Hand, schlug es auf.
    Er konnte sich nicht konzentrieren.

MONTAG, 5. JUNI 1995
    Nach zehn Stunden Fahrt begehrte sie auf.
    »Lieber Gott, Mario, ich habe Hunger! Und ich bin wahnsinnig müde. Sollten wir nicht langsam überlegen, wo wir essen und übernachten?«
    Sie hatten bei Mühlhausen die Grenze nach Frankreich überquert und stießen nun durch Burgund zur Rhöne vor. Es war sieben Uhr, der Sommerabend warm und hell. In Hamburg hatte es geregnet am Morgen, aber nach Süden hin war der Himmel immer mehr aufgerissen. Nun segelten nur noch ein paar rosa gefärbte kleine Wolken am Horizont entlang.
    »Willst du in irgendeiner Stadt essen?« fragte Mario in einem Ton, der besagte, daß er das ganz und gar nicht wollte. »Da ist es doch jetzt überall furchtbar voll.«
    »Die Autobahnen sind auch voll.« Tatsächlich bewegten sie sich gerade wieder recht zäh vorwärts. »Und ich hatte gedacht, wir könnten uns ein bißchen was anschauen.«
    »Davon hast du nichts gesagt.«
    »Ich fand es selbstverständlich, daß wir irgendwo anhalten und uns umsehen. Ich wußte nur nicht wo, weil man ja nicht sagen konnte, wie weit wir heute kommen würden.«
    Mario seufzte. Tina wandte sich ihm zu, betrachtete sein schönes, ebenmäßiges Profil. Selbst von der Seite konnte sie erkennen, wie müde er aussah. Seine Lippen
jedoch lagen in einer angespannten Entschlossenheit aufeinander, und plötzlich beschlich Tina ein dumpfer Verdacht.
    »Du willst doch nicht heute noch bis ans Mittelmeer durchfahren?«
    »Warum nicht?«
    »Das sind mindestens noch fünfhundert Kilometer! Da brauchen wir ja die ganze Nacht!«
    »Dafür gewinnen wir einen Tag, den wir dann dort verbringen können.«
    »Ach, ein Tag! Dafür müssen wir uns doch nicht so abkämpfen!«
    »Du wolltest doch unbedingt in die Provence«, sagte Mario gekränkt, »und jetzt würdest du glatt einen Tag verschenken!«
    »Ich finde nur, wir müssen nicht wie die Verrückten durchbrettern. Du brauchst ja alleine eine Woche, um dich von dieser Fahrt zu erholen!«
    »Ich steck’ das leicht weg«, behauptete Mario. Dann setzte er hinzu: »Aber wenn du unbedingt willst...«
    Es klang so mißmutig, daß Tina sofort den Rückzug antrat. »Nein, wir müssen ja nicht. Es war nur ein Vorschlag.«
    Mario sah sie an. Er lächelte, sein Gesichtsausdruck wurde warm und entspannt. »Wir essen irgendwo. Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir uns einen Gasthof suchen, der nicht zu weit entfernt liegt von der Autobahn? Ich hasse es, in fremden Städten herumzukurven...«
    Sie landeten dann schließlich an

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