Die Suende der Engel
was?«
Er lächelte sanft. »Bißchen viel Farbe.«
»Oh - gefällt dir das nicht?«
»Ich fand den Lippenstift schöner, den du sonst benutzt. Am schönsten ist es, wenn du dich gar nicht schminkst. Dein Gesicht braucht das überhaupt nicht.«
»Ich wollte ein bißchen älter aussehen«, sagte Tina zaghaft. Sie klappte die Sonnenblende mit dem Spiegel hinunter. Ihr Mund war wirklich zu grell. Typisch Dana, ihr eine solche Farbe aufzuschwatzen. Rasch kramte sie ein Taschentuch hervor und wischte den Mund ab.
»Besser?« fragte sie.
Mario hob die Hand, strich ihr kurz und sehr zärtlich über die Wange. »Du bist wunderschön, Tina. Du hast ein Gesicht wie ein Engel.«
Sie lächelte etwas gequält, sah hinaus in die vorübergleitende, sanft gewellte, waldige Landschaft Burgunds und in den herrlichen Sonnenuntergang, und sie fragte sich, warum dieses Kompliment sie nicht freute. Mario hatte nichts weiter gesagt, als daß sie ihm ungeschminkt besser gefiel, und er hatte sie mit einem Engel verglichen.
Warum fühlte sie sich plötzlich so elend? So, als habe sie einen groben Fehler gemacht oder sich völlig daneben benommen?
Sie saßen beim Abendessen, friedlich und in stillem Selbstverständnis wie ein langjähriges Ehepaar. Es gab Lachs und Toastbrot und verschiedene Salate, dazu einen sehr kalten Wein. Leise Musik kam vom CD-Spieler in der Ecke. Gedämpft klangen die Geräusche des Londoner Straßenverkehrs herauf.
Andrew trug seinen alten, blauen Bademantel, ein zerschlissenes Stück, das noch aus seiner Studentenzeit stammte. Den neuen, flauschigen aus dunkelbraunem Frottee hatte er Janet überlassen. Sie mußte ihn an den Ärmeln mehrmals umschlagen und beim Gehen aufpassen, daß sie nicht über den Saum stolperte, aber sie fühlte sich sehr geborgen darin. Der Bademantel roch nach Andrew, nach seiner Seife, seinem Rasierwasser, seinem Körper. Andrew hatte ihn noch waschen wollen, ehe er ihn ihr gab, aber sie hatte das nicht gewollt. Sie mochte ihn so, wie er war.
Ein langjähriges Ehepaar, dachte sie nun, hätte sich wahrscheinlich nicht noch eine Viertelstunde vor dem Abendessen geliebt. Dazu wären beide schon zu frustriert. Sie von dem langen Tag allein zu Hause, er von den Ärgernissen im Beruf.
Allerdings hatte sich Janet kein bißchen gelangweilt. Sie hatte lange geschlafen, ausgiebig gefrühstückt, war dann in die Tate Gallery gegangen und hatte am Nachmittag erstaunt festgestellt, wie viele Stunden sie dort verbracht hatte. Sie hatte für das Abendessen eingekauft und war eine knappe halbe Stunde vor Andrew in die Wohnung zurückgekehrt. Als er kam, sah sie gleich, daß er Sorgen mit sich herumschleppte.
»Fred Corvey?« fragte sie.
Er küßte sie und nickte. »Morgen beginnt die Hauptverhandlung. Ich bin ein bißchen nervös.«
»Du solltest dir nicht so viele Gedanken machen!«
Mit einer resignierten Bewegung strich sich Andrew über die vor Erschöpfung leicht geröteten Augen. »Du hast recht. - Wie war dein Tag?«
Sie erzählte von ihrem Museumsbesuch, dann tranken sie jeder einen Sherry und gingen ins Bett. In der einen Woche, die Janet jetzt ganz in Andrews Wohnung lebte, hatten sie jeden Abend so begonnen. In den Jahren mit Phillip hatte Janet fast vergessen gehabt, wie wunderbar es für sie war, mit Andrew zu schlafen. Es mochte vor allem daran liegen, daß Andrew sie körperlich so stark anzog, weit mehr als Phillip. Zudem verfügte Andrew als Liebhaber über eine Mischung aus Zärtlichkeit und Dominanz, die Janets unausgesprochenen Wünsche mit einer schlafwandlerischen Sicherheit erfüllte. Er ging bis hart an die Grenzen dessen, was Janet mitzugehen bereit war, brachte dabei das Kunststück fertig, es niemals um einen Schritt zu weit zu treiben. So war es immer gewesen, ohne daß sie jemals eine dieser peinlichen, Janet unweigerlich die Röte in die Wangen treibenden Diskussionen um ihrer beider sexuellen Bedürfnisse geführt hatten, die Phillip - nach gewissenhaftem Studium zahlreicher Frauenzeitschriften - für die Grundlage der modernen, offenen, gleichberechtigten Partnerschaft hielt.
»Magst du es eigentlich, wenn ich...?« Es gehörte zu den Dingen, die Janet an Andrew am meisten schätzte, daß er ihr Fragen dieser Art nie stellte.
Später hatten sie zusammen den Tisch gedeckt, ohne ein Wort zu sprechen, in einer friedvollen, ruhigen Stimmung. Jetzt fragte Andrew plötzlich unvermittelt: »Was war eigentlich der genaue Grund, weshalb du nach England gekommen
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