Die Suende der Engel
dem Wohnzimmer. Dana, die gerade geduscht hatte und nichts trug als ein großes, um den Körper geschlungenes Handtuch, blieb im Flur stehen. Um diese Zeit hätte sie ihre Mutter noch im Bett vermutet. Sie öffnete die Wohnzimmertür. »Mami? Bist du schon wach?«
Karen lag auf dem Sofa und war offensichtlich überhaupt nicht im Bett gewesen. Sie trug einen fleckigen, blauen Jogginganzug und feuerrote Wollsocken an den Füßen. Ihre bürstenkurzen Haare waren verstrubbelt, ihr bleiches Gesicht sah verquollen und alt aus. Neben ihr auf dem Fußboden standen mehrere Flaschen und Gläser, und im ganzen Zimmer stank es penetrant nach Alkohol.
»Ach, Mami, mußte das wieder sein!« sagte Dana resigniert.
Das Handtuch vor ihrer Brust zusammenhaltend, ging sie zum Fenster und öffnete es. Großstadtlärm brandete herauf. Abgasdurchsetzte Sommermorgenluft, schwül und schwer, waberte langsam herein.
Karen griff sich mit der Hand an die Stirn und stöhnte leise. »Ich hab’ schreckliche Kopfschmerzen... hast du ein Aspirin?«
»Du mußt unheimlich gesoffen haben gestern abend«, konstatierte Dana. Sie lief in ihr Zimmer und zog ihren Morgenmantel an, dann ging sie in die Küche und warf ein Aspirin in ein Glas Mineralwasser. Der wochenlange Gesundheitstrip mit Fitneßübungen, Mohrrüben und grünem Tee war ohne irgendeinen sanfteren Übergang in die Depressionsphase gewechselt. Karen hatte am vergangenen Nachmittag plötzlich ihre Bücher mit den Gymnastikanleitungen in die Ecke gefeuert, war zum nächsten Supermarkt geeilt und mit Bergen von Lebensmitteln sowie einem ansehnlichen Vorrat an Spirituosen wiedergekehrt. Sie hatte dann begonnen, sich ein üppiges Mahl zu kochen, und im Anschluß daran offenbar keine Grenze beim Trinken gefunden. Dana kannte das. Wenn sie der Weltschmerz überkam, konnte Karen saufen bis zur Besinnungslosigkeit.
Sie brachte ihrer Mutter das Glas und half ihr, sich auf mehrere Kissen gestützt aufzusetzen. Karen hatte graue Lippen. Sie sah zehn Jahre älter aus als vierzig.
»Schöner Mist«, murmelte sie, »die eigene Mutter morgens so vorzufinden, wie?«
»Was war denn los gestern abend?« fragte Dana. »Du wolltest dir doch einen gemütlichen Abend machen!« Sie war erst spätnachts von einem Diskothekenbesuch zurückgekehrt und auf Zehenspitzen in ihr Zimmer geschlichen, in dem Glauben, es sei alles in Ordnung.
»Mir ging’s nicht gut«, sagte Karen. In kleinen Schlukken trank sie ihr Wasser. »Ich war so allein.«
»Tut mir leid. Ich wußte nicht, daß...«
»Ist doch nicht deine Schuld. Du bist nicht verpflichtet, bei deiner alten Mutter daheim zu sitzen.«
»Du bist nicht alt, Mami!«
»Ach, schau mich doch an«, jammerte Karen, und insgeheim dachte Dana, daß sie recht hatte. Zumindest wurde sie alt, mit Riesenschritten. Das lag nicht nur an dem handfesten Kater des heutigen Morgens. Den Falten und Kerben in ihrem Gesicht, der schlaffen Mundpartie lagen viele Jahre ständiger Frustrationen und zu viele einsame Stunden zugrunde. Sie hatte Schiffbruch im Beruf erlitten, hatte keinen Partner und im Grunde nicht mal Freunde. Aber irgendwie, dachte Dana plötzlich gerührt, wurschtelt sie sich doch ganz tapfer durch. Sie neigte sich vor und gab Karen einen raschen Kuß auf die Wange. »Du bist schon okay«, sagte sie, »wirklich!«
»Ich bin ein Versager«, entgegnete Karen unbarmherzig.«Ich hab’ keine Arbeit, keinen Kerl und bin mit der Miete im Rückstand.«
»Wie weit?«
»Zwei Monate. Gestern kam ein Einschreiben vom Vermieter. Er droht mit Kündigung.«
»Es muß doch für Juni wieder Geld von meinem Vater gekommen sein?«
»Damit hab’ ich ein paar Schulden bezahlt, und der Rest ist für Essen und Trinken draufgegangen.«
Dana hob die einzelnen Flaschen neben dem Sofa hoch und las die Etiketten. »Das ist ziemlich teures Zeug«, sagte sie, »an der Stelle könntest du wirklich sparen!«
»Ich will mich nicht dauernd einschränken. Man braucht ja auch ab und zu eine Freude im Leben.«
»Das hier ist aber keine Freude, jedenfalls nicht, wenn man danach so drauf ist wie du«, stellte Dana fest. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und legte die Füße auf den Tisch. Ihre Zehennägel leuchteten in einem feurigen Orangerot. »Du mußt wieder arbeiten, Mami. Nicht nur wegen Geld. Auch weil es für dich wichtig ist.«
»Mich will keiner.«
»Weil du nicht bereit bist, auch nur die kleinsten Konzessionen zu machen. Das ist der Punkt! Wie du herumläufst!
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