Die Suende der Engel
zu Mario hin, der mit weitaufgerissenen Augen zur Decke starrte und sich bemühte, wieder ruhiger zu atmen.
»Mario«, sie wagte nicht, ihn zu berühren. »Mario-was ist los?«
Er antwortete nicht. Eindringlicher wiederholte Tina: »Mario - was ist auf einmal los?«
Sein Blick wandte sich von jenem imaginären Punkt an der Decke ab, den er fixiert hatte, und richtete sich auf Tina. In den dunklen Augen stand keine Zärtlichkeit mehr, kein Begehren. Nur Zorn, eine gefährliche, böse Wut.
»Was plötzlich los ist? Das fragst du im Ernst? Weißt du, was hier eben fast passiert wäre?«
»Ja, das weiß ich.« Sie war ratlos. »Natürlich weiß ich das.«
»Aha. Und das stört dich kein bißchen, wie?« Er setzte sich jetzt auch auf. Sein nackter Oberkörper glänzte vor Schweiß. Seine Augen funkelten. »Du hättest das toll gefunden, ja?«
»Mario... ich liebe dich. Ich dachte immer...«
»Was? Was dachtest du?«
»Ich dachte immer, es gehört zur Liebe, daß man...« Sie war jetzt so erschrocken und verwirrt, daß sie krampfhaft nach einer diskreten Umschreibung dessen suchte, was, unverblümt gesagt, Marios Zorn womöglich nur noch stärker entfacht hätte. »...daß man einander... sehr nahe kommt...«
Mario sah sie lauernd an. »Wie nahe wolltest du mir denn kommen?«
Tina hatte das Gefühl, ein einziges falsches Wort könnte eine Explosion auslösen. »Mein Gott, ich wollte... ich wollte...«
»Du wolltest mich verführen! Und es wäre dir ja auch fast gelungen. Von wem hast du das so gut gelernt? Von deiner Freundin Dana, diesem...«, er spuckte das Wort förmlich aus, »diesem Flittchen?«
Tina reckte die Schultern. Allmählich wich ihre Verwirrung heftigem Ärger. Was bildete er sich ein? Und wie konnte er es wagen, Dana zu beleidigen?
»Ich möchte nicht, daß du so über sie sprichst«, sagte sie kalt.
»Sie hat’s mit jedem Kerl in Hamburg und Umgebung getrieben«, sagte Mario verächtlich, »das wissen doch alle!«
»Das ist allein ihre Sache.«
»Offensichtlich nicht. Offensichtlich hat es auf dich abgefärbt, und damit ist es auch meine Sache.«
Tina stand auf. Sie war jetzt blaß vor Wut. »Du bist ja nicht mehr normal!«
Auch Mario erhob sich. »Ich hätte es wissen müssen«, sagte er.
»Was?«
»Daß du nicht anders bist als alle anderen. Kein bißchen anders.«
»Würdest du mir verraten, was du damit meinst?«
»Du siehst aus wie ein Engel. Aber das täuscht. Von Anfang an hattest du es auf nichts anderes abgesehen, als auf ein kurzes Abenteuer mit mir. Deshalb wolltest du auch unbedingt verreisen. Du hast damit eine ganz bestimmte Absicht verfolgt.« Er klang verletzt, verbittert, enttäuscht.
Aber das ist so grotesk, dachte Tina. Sie kam sich vor wie in einem absurden Traum, wie in einem Zerrspiegel der Realität. Sie fühlte sich plötzlich müde und traurig - und hilflos.
»Mario, ich glaube, es bringt im Moment nichts, weiterzureden«, sagte sie, »wir sollten schlafen und morgen sehen, ob wir diesen Urlaub überhaupt fortsetzen wollen. Ich... ich bin im Augenblick sehr durcheinander.«
Er schwieg, sah sie nun an mit einem Gesichtsausdruck wie ein - ja, dachte sie, wie ein geschlagener Hund. Entsetzt und verstört.
Schließlich hob er die Hand, griff eine ihrer langen Haarsträhnen und ließ sie langsam durch seine Finger gleiten.
»Ich liebe dich wirklich sehr, Christina«, sagte er leise. Es war fremd und ungewohnt für Tina, daß er sie bei ihrem vollen Namen nannte. »Du bist das Bild, das ich in mir barg.«
Sie verstand nicht, was er meinte. »Was?«
»Die Musik«, sagte er, »das ist diese Musik.«
»Das ist ein Satz aus der Musik, die du gehört hast?« Sie war verwirrt-und ratlos. »Du bist das Bild, das ich in mir barg. Was bedeutet das?«
Er erwiderte nichts, sondern drehte sich um und verließ das Zimmer. Sie hörte seine Schritte auf der Treppe, dann wurde oben sehr nachdrücklich seine Zimmertür geschlossen.
Tina brauchte fünf Minuten, ehe sie sich so weit gefaßt hatte, daß sie ebenfalls hinauf in ihr Zimmer und in ihr Bett gehen konnte.
Sie fand jedoch bis zum Morgen keinen Schlaf mehr.
»Darf ich Sie einen Moment stören, Herr Professor?« Dr. Rosenberg, einer der Mitarbeiter Echingers, steckte den Kopf durch die Tür ins Büro seines Chefs.
Professor Echinger saß hinter dem Schreibtisch. Er blinzelte zerstreut über den Rand seiner Lesebrille hinweg. »Ja? Was ist?«
»Vielleicht hat es nichts zu bedeuten...« Rosenberg kam jetzt
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