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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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sich etwas.
    »Was liest du?« fragte er.
    Sie klappte das Buch zu und zeigte ihm den Titel.
    »Sita«, las er, »von Kate Millet.« Er kannte das Buch nicht, aber er kannte die Autorin. Er fragte sich, was Tina an einer lesbischen Feministin interessierte.
    Tina legte das Buch zur Seite. »Eine bedrückende Geschichte«, sagte sie, »über eine sehr komplizierte und schmerzvolle Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen.«
    »Aha.« Er hatte das Gefühl, sie erwarte irgendeinen klugen Kommentar von ihm, aber ihm fiel keiner ein, und so rettete er sich in ein kurzes, bedeutungsvolles Schweigen. Dann schlug er vor: »Begleite mich doch ins Dorf zum Einkaufen. Wir brauchen schließlich ein Abendessen.«
    »Okay. Ich zieh’ mir nur etwas an.« Sie stand auf.
    Sie will mich nicht provozieren, dachte er, sie trägt dieses winzige geblümte Ding, weil alle Frauen so etwas tragen. Sie hat sich noch nie Gedanken darüber gemacht, wie das wirkt.
    Als könnte sie hören, was hinter seiner Stirn vorging, verschränkte sie plötzlich die Arme vor der Brust. Eine verlegene Röte huschte über ihre Wangen. »Ich habe immer noch nicht meinen Vater angerufen. Bestimmt macht er sich große Sorgen.«

    »Hast du ihm gesagt, du würdest anrufen?«
    »Wir haben nicht darüber gesprochen. Wir sind wohl beide davon ausgegangen.« Sie schaute an der Hauswand hinauf zum Fenster des kleinen Arbeitszimmers im ersten Stock, wo das Telefon stand. »Komisch, daß auch er nicht anruft, nicht?«
    »Niemand ruft an. Man will uns sicher nicht stören.«
    »Ich wüßte nicht, was ich ihm sagen sollte. Wahrscheinlich würde er merken, daß ich deprimiert bin.«
    Mario wußte, sie gab ihm ein Signal. Er hätte nachhaken müssen: »Warum bist du deprimiert, Tina?« Es wäre eine Chance gewesen, über die vergangene Nacht zu sprechen. Er hätte erklären können, was in ihm vorgegangen war; vielleicht hätte sie es verstanden. Aber ihm fehlten der Mut und die Energie für ein solches Gespräch. So sagte er nur: »Zieh dich an, Tina. Wir sollten jetzt los.«
    Sie warf ihm einen Blick zu, in dem Verärgerung und Verletztheit gleichermaßen standen, aber sie erwiderte nichts. Sie drehte sich um und ging ins Haus.
     
    Wie lange sich die Stunden eines Tages hinzogen, wenn man nichts zu tun hatte! Essen und trinken nahmen nicht viel Zeit in Anspruch, ein paar Aufräumarbeiten in einem von einer zuverlässigen Putzfrau bestens gewarteten Haus auch nicht. Es regnete in Strömen, und so bot auch der Garten keine Ausweichmöglichkeit.
    Ich hätte mich in mein Büro setzen sollen, dachte Phillip, zumal sich dort die Arbeit stapelt.
    Er hatte kapituliert, hatte erkannt, daß er es allein unmöglich schaffen konnte, termingerecht mit allem fertig zu werden, was erledigt werden mußte. Seine Sekretärin war bereits vor Pfingsten für zwei Wochen auf die Kanaren abgereist, einer seiner beiden Mitarbeiter hatte sich am Morgen krank gemeldet. Janet, von der er jetzt erst
merkte, wie sehr alle Fäden in der Kanzlei bei ihr zusammenliefen, saß noch immer in London, beziehungsweise lag in Andrew Davies’ Bett. Der Student, den sie beschäftigten, stand ohne Anleitung völlig hilflos herum, der zweite Mitarbeiter jammerte die ganze Zeit, daß sie alle völlig überlastet seien. Schließlich schickte Phillip die beiden nach Hause und sagte, er werde sich irgend etwas einfallen lassen. Ihm war klar, daß ihm nichts einfallen würde, und indem er alles stehen und liegen ließ, im Büro nur den Anrufbeantworter laufen ließ und in vollkommene Passivität verfiel, wurde die Sache natürlich nur schlimmer. Aber er fühlte sich nicht in der Lage, das Problem mit Tatkraft anzugehen. Eine lähmende Lethargie bemächtigte sich seiner, von Stunde zu Stunde mehr. Er konnte nur im Sessel sitzen, die Wand anstarren und in einer selbstquälerischen Unaufhörlichkeit seine Situation analysieren.
    Er war allein. Er hatte Janet verloren. Selbst wenn sie zurückkehrte, würden sie nie mehr auf eine halbwegs normale Weise leben können, nicht nach dem zweiten Mal. Mario ging eigene Wege. Maximilian wäre vielleicht der letzte, der ihm bliebe, und gerade ihn wollte er nicht als Klotz am Bein haben.
    In der Stille tickte eine Uhr sehr laut. Draußen strömte der Regen. Phillip erhob sich, ging in die Küche und setzte Kaffeewasser auf. Keine Frau, keine Kinder, die sich um seinen Tisch versammelten. Er fühlte sich jämmerlich einsam, und da er Einsamkeit immer voller Hochmut als die notwendige

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