Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
spurlos verschwunden sei. Es gebe nun keine andere Möglichkeit mehr, als die Polizei zu informieren.
     
     
    Andrew hatte das ganze Jahr über so viele Überstunden gemacht, daß sein Vorgesetzter, Superintendent Brown, erleichtert zustimmte, als er um einen Tag Urlaub bat.
    »Das steht Ihnen weiß Gott zu, Davies. Sie haben sich unheimlich ins Zeug gelegt bei der Corvey-Geschichte.«
    »Erfolglos.«
    »O nein! Sie haben den richtigen Mann geschnappt. Jeder weiß das. Es ist nicht Ihre Schuld, daß ihm nichts nachzuweisen ist. Noch nicht.«
    »Es ist mein Fall, Chief, und er ist nicht befriedigend gelöst. Übermorgen wird die Jury Fred Corvey möglicherweise mangels Beweisen nicht schuldig sprechen. Damit habe ich mein Ziel verfehlt, und dafür lasse ich keine Entschuldigung gelten.«

    »Seien Sie doch nicht so gnadenlos mit sich. Glauben Sie, es ist noch keinem von uns passiert, daß er zähneknirschend mitansehen mußte, wie ein endlich zur Strecke gebrachter Verbrecher als freier Mann den Gerichtssaal verlassen durfte - nur weil ein paar verdammte Beweise fehlten? Himmel, Davies! Diese bittere Pille muß jeder ein paarmal schlucken.«
    »Nach unseren Gesetzen kann er derselben Verbrechen nicht zweimal angeklagt werden. Für diese vier Morde kommt er davon. Was mich verrückt macht, ist, daß ich hätte wissen müssen, er zieht sein Geständnis zurück. Ich hätte es wissen müssen! Der Fall hätte nicht zur Anklage gebracht werden dürfen. Ich hätte Corvey überhaupt nicht verhaften dürfen. Ich hätte ihn observieren lassen müssen und...«
    »Hätte, hätte, hätte! Hören Sie auf damit, Sie machen sich nur fertig!« Brown legte Andrew kurz die Hand auf den Arm, eine anteilnehmende, freundschaftliche Geste. »Sie werden Ihre Chance bekommen. Corvey ist ein Süchtiger. Ganz gleich, wie sehr er sich jetzt zunächst in acht nimmt, er wird weitermachen, weil er weitermachen muß. Und dabei wird ihm das Glück nicht ewig treu bleiben.«
    »Im Moment sieht es so aus, als seien die Karten für ihn sehr gut gemischt worden.«
    »Im Moment. Nicht für immer. Das Blatt wird sich wenden.« Brown musterte Andrew eindringlich. Davies war deprimiert und unzufrieden, das war normal in seiner Situation. Aber dennoch schien er zorniger und frustrierter als andere Männer, die das gleiche hatten erleben müssen. Der Stachel saß bei ihm übermäßig tief, schmerzte heftig. Weshalb? Mitleid mit den Opfern, gewesenen und zukünftigen? Die Wut, auf die Kehrseite der glänzenden Medaille eines fairen und unbestechlichen Rechtssystems zu stoßen? Oder brannte die Wunde
schwer verletzten Ehrgeizes so sehr? Brown war ein Menschenkenner, und nach allem, was er von Andrew Davies wußte, gab er der letzten Möglichkeit insgeheim den Vorzug. Davies schaffte es nicht, Niederlagen wegzustecken, und darin bestand sein persönliches Handicap im Bemühen um einen glatten, schnellen Aufstieg bei Scotland Yard. Er wollte mindestens Chief Superintendent werden, ein Posten, der ihm höchstens Ansehen und unter Umständen sogar einen Adelstitel einbringen konnte. Jeder im Yard wußte, daß man einen hervorragenden Kriminalbeamten in ihm hatte, und doch gab es niemanden, der ihn aus tiefster Überzeugung und vollem Herzen protegiert hätte. Es hatte Zwischenfälle gegeben, bei denen klargeworden war, daß Davies die Beherrschung verlieren konnte, wenn er einen Mißerfolg hinzunehmen hatte. Es war nie zu einer Katastrophe gekommen, aber es gab niemanden, der nicht das düstere Gefühl hatte, daß Davies eines Tages in eine selbstinszenierte Tragödie geraten würde.
    »Also, machen Sie etwas Schönes an Ihrem freien Tag«, sagte Brown nun. »Vergessen Sie Fred Corvey und tun Sie nur, was Ihnen Spaß macht.«
    Andrew lächelte, aber der angespannte Zug um seinen Mund verriet, daß es ihm derzeit wohl völlig unmöglich war, nicht an Corvey zu denken.
    Als er nach Hause kam, war die Wohnung leer. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel, auf dem ihm Janet mitteilte, sie sei fort, um »ein paar Dinge zu erledigen«. Andrew behielt den Zettel in der Hand, als er ins Wohnzimmer ging und sich einen Whisky einschenkte. Er dachte an Janet, während er, am Fenster stehend, langsam trank und sich der spannungslösenden Wirkung des Alkohols überließ. Als junger Mann hatte er mit Janet Begriffe wie Frühling, grüne Wiesen, klares Wasser assoziiert.
Sie war von einer überwältigenden Naivität und Unschuld gewesen, als er sie kennenlernte, von ihrem Vater

Weitere Kostenlose Bücher