Die Suende der Engel
Folge eigener Fehler im Umgang mit anderen Menschen gesehen hatte, empfand er nun auch noch eine Menge ungeordneter, wirrer Schuldgefühle. Das Wort »Versager« hämmerte in seinem Kopf, während er in den grauen Tag hinausstarrte und darauf wartete, daß das Wasser kochte. Dazwischen flackerte ein kühner, wilder
Gedanke in ihm auf: Er könnte sich in das nächste Flugzeug nach London setzen, zu Davies’ Wohnung fahren, klingeln und Janet einfach zurückholen. Vielleicht würde ihr ein starker Auftritt imponieren, sogar Gefühle in ihr wecken, die sie bis dahin für ihn nicht gehabt hatte. Offensichtlich stand sie auf Männer, die sich nahmen, was sie wollten, ohne lange zu fackeln.
»Ich bin gekommen, dich zu holen, Janet.« Oder, aggressiver: »Entscheide dich. Wenn du ihn willst, sind wir geschiedene Leute, und ich schwöre dir, diese Scheidung wird so schmutzig, daß du dich fragst, ob er das wirklich wert ist!«
Oder wie wäre es mit der Andrew-Davies-Methode? Janet am Arm packen, sie buchstäblich aus der Wohnung schleifen? »Du bist meine Frau, und ich rate dir, das nie wieder zu vergessen!«
Phillip seufzte resigniert, als ihm aufging, daß er nichts von alldem tun würde. Es war einfach nicht seine Art, es lag ihm nicht. Er würde lächerlich wirken, nicht im mindesten überzeugend. Im entscheidenden Moment käme ihm nicht einmal die Wut zu Hilfe und ließe ihn erstarken. Außer einem Gefühl entsetzlicher, schmachvoller Peinlichkeit würde er nichts empfinden - und das war die denkbar schlechteste Voraussetzung, um auf eine Frau wie Janet und einen Mann wie Andrew Davies Eindruck zu machen.
Das Wasser kochte, und gleichzeitig klingelte das Telefon. Einen Moment lang erwog Phillip, sich ungerührt seinen Kaffee zu machen und den Anrufer auflaufen zu lassen, aber auf einmal hatte er die Vision, es könnte Janet sein, die versuchte, mit ihm zu reden. Er stürzte ins Wohnzimmer und meldete sich mit atemloser Stimme. »ja?«
»Weiss«, erklang es kühl und sehr förmlich.
Phillip wußte mit diesem Namen nichts anzufangen. »Ja?« fragte er noch mal.
»Ich bin der Vater von Christina Weiss.«
»Oh... Herr Weiss, guten Tag. Ich wußte nicht...«
»Herr Beerbaum, um es kurz zu machen, ich bin sehr besorgt«, sagte Michael, »ich habe keinerlei Lebenszeichen von meiner Tochter. Die beiden müßten doch längst angekommen sein. Ich versuche ständig sie zu erreichen, aber es meldet sich niemand.«
In seiner Stimme schwand ein Vorwurf, als mache er Phillip für die Lage der Dinge verantwortlich. »Vielleicht sind sie tatsächlich noch nicht angekommen«, meinte Phillip, »vielleicht haben sie irgendwo eine längere Reiseunterbrechung eingelegt. Um sich eine Stadt anzusehen oder eine Gegend.«
»Und warum ruft Christina mich dann nicht an?«
Woher soll ich das eigentlich wissen, dachte Phillip etwas verärgert. Laut sagte er jedoch in beruhigendem Ton: »Die beiden sind jung und verliebt, Herr Weiss. Im Moment sind ihre Eltern vermutlich das, woran sie am wenigsten denken.«
»Das wäre ganz neu bei meiner Tochter«, betonte Michael, und zwischen seinen Worten stand der unausgesprochene Vorwurf: Das könnte dann nur auf den Einfluß von Mario zurückzuführen sein!
Eingebildeter Affe, dachte Phillip. Er erwiderte nichts, sondern wartete.
Schließlich fuhr Michael fort: »Ich war ja von Anfang an gegen diese Reise. Aber mit Christina war nicht zu reden.«
»Sie wird wohlbehalten zu Ihnen zurückkehren, da bin ich sicher.«
»Nun, da sind Sie optimistischer als ich. Auf jeden Fall wäre ich dankbar, wenn Sie, sollten sich die beiden bei
Ihnen melden, ausrichten würden, sie möchten bitte Kontakt mit mir aufnehmen.«
»Das werde ich gerne tun«, sagte Phillip, auf Michaels gestelzten und reservierten Ton eingehend. Die beiden Männer verabschiedeten sich höflich und kühl voneinander, und als er auflegte, dachte Phillip: Hoffentlich heiratet Mario dieses Mädchen nicht. Den Schwiegervater wünsche ich ihm wirlich nicht!
Kaum war er in die Küche zurückgekehrt, läutete das Telefon erneut. Den ganzen elenden, einsamen, traurigen Tag lang hatte es beharrlich geschwiegen, hatte mit keinem Laut die drückende Stille unterbrochen. Jetzt stand es nicht mehr still. Phillip dachte über die Unausgewogenheit des Lebens nach, während er abnahm und sich meldete. Diesmal war Professor Echinger am anderen Ende der Leitung. Er teilte ihm mit, daß Maximilian seit dem Frühstück vermißt werde und bis jetzt
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