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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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meinte, diesen einzigen Halt zu verlieren... Sicher gab sie für einen Analytiker ein gefundenes Fressen ab. Aber wie verrückt es auch sein mochte, sie hätte es nicht geschafft, das Drängen in sich zu ignorieren. Auf einmal erschien es ihr ausgeschlossen, eine ganze Nacht ungenutzt verstreichen zu lassen.
    »Das ist wirklich nett von dir, Patricia«, sagte sie, »aber aus bestimmten Gründen muß ich ganz schnell weiter. Vielleicht läßt du mich an einem Rastplatz raus, wo auch Fernfahrer Station machen. Da findet man immer etwas.«
    »Du mußt es wissen«, meinte Patricia. Kurz darauf bog sie von der Autobahn auf einen Rastplatz ab, an dem es eine Gaststätte gab. Schon von weitem konnte man die vielen Lastwagen sehen, die hier parkten.
    »Das ist genau das Richtige«, stellte Dana zufrieden fest. »Hier kann ich etwas essen und dabei ein paar Bekanntschaften machen. Ich finde sicher jemanden, der in meine Richtung fährt.«
    Patricia sah sie unglücklich an, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie noch einmal zu warnen, und der Sorge, wie eine übervorsichtige, altmodische Gouvernante dazustehen. Schließlich sagte sie nur: »Paß ein bißchen auf dich auf, ja?«
    »Klar. Und tausend Dank fürs Mitnehmen. Bis jetzt ging es besser und schneller, als ich dachte.« Dana stieg
aus, angelte ihren Rucksack vom Rücksitz. »Mach’s gut!« Sie warf die Tür zu, winkte noch einmal kurz und setzte sich dann in Richtung Gaststätte in Bewegung. Ihre dunklen Locken flatterten im Wind, ihre Armreifen klirrten. Patricia sah ihr durch den Rückspiegel nach. Was für ein attraktives, optimistisches, junges Mädchen! Patricia startete den Wagen und fuhr weiter.
    Für den Rest des Abends wurde sie ein beklemmendes Gefühl nicht los.
     
     
    Maximilian war unterdessen bis Frankfurt gekommen - auf konventionellerem Weg als Dana, nämlich mit dem Zug. Von nun an würde er es allerdings auch als Anhalter versuchen müssen, denn er hatte kaum noch Geld. Was ihm geblieben war, brauchte er für Essen und Getränke.
    Er hatte die Mainmetropole am Nachmittag erreicht, ziemlich erschöpft von alldem, was er an diesem Tag schon hinter sich gebracht hatte. Um den ersten Bus zu bekommen, war er in aller Herrgottsfrühe aufgestanden und hatte sich aus der Klinik geschlichen. Das war nicht allzu schwer, wenn man nachts nicht im Zimmer eingeschlossen wurde - was bei ihm seit einem Jahr nicht mehr der Fall war - und sich zudem in den Räumlichkeiten auskannte. Den Haupteingang konnte man nicht benutzen, dort saß die ganze Nacht über ein Pförtner in der Loge und las Zeitung. Aber es gab noch den Keller, über eine Hintertreppe zu erreichen. Die meisten Fenster dort unten waren vergittert, aber in einer entlegenen Rumpelkammer vermittelte nur ein dünner Maschendraht die Illusion von Sicherheit: Er ließ sich mit einem einzigen kräftigen Fußtritt zerstören. Das Gitter über dem davorliegenden Lichtschacht war ohne größere Probleme abzuschrauben und hochzuheben. Glücklicherweise landete man hier nicht im hoch umzäunten Sicherheitsbereich des
Parks, in dem die geschlossene Abteilung ihre Sonnenbäder nahm, sondern im offenen, frei zugänglichen Teil. Am äußersten Ende des Anwesens galt es nun nur noch, eine alte steinerne Mauer zu überwinden, die aber kein Problem mehr darstellte. Ein einigermaßen sportlicher Mensch kam in weniger als drei Minuten hinüber. Maximilian hatte während der letzten drei Jahre seines Klinikaufenthaltes jede dort angebotene Möglichkeit zum körperlichen Training wahrgenommen, er fühlte sich fit. Ihm bereitete weder der Ausbruch Schwierigkeiten noch der Dreikilometermarsch zur nächsten Bushaltestelle. Er wußte, daß man ihm die Klinik nicht ansah. Er trug ein frisches blaues T-Shirt, saubere Jeans, Turnschuhe und seine auf modische Weise abgewetzte Lederjacke. Zwei Wochen zuvor erst war der Friseur in der Klinik gewesen, und so waren Maximilians Haare gut geschnitten. Er hatte sich nicht rasieren können, da kein Patient, wegen der damit verbundenen Suizidgefahr, freien Zugang zu einem Rasierapparat hatte, aber der graue Schatten an Kinn und Wangen würde ihn nicht gleich verdächtig machen. Die meisten jungen Leute liefen weitaus schlampiger herum als er.
    Der herandämmernde Morgen war klar und frisch, die Luft rein und kühl. Er fühlte sich gut, als er die Bushaltestelle mitten im Nichts erreichte, die aus einem Schild, einem Plastikunterstand und einer Bank bestand. Erstaunlich viele Leute

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