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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Lichteffekten hatte man eine Tanzfläche improvisiert, auf der eine Horde schwitzender junger Leute herumhüpfte. Die Luft war zum Zerschneiden. Die Musik dröhnte so laut, daß man kaum ein Wort miteinander würde wechseln können.
    Mario schubste Tina fast auf einen der Stühle, dann ging er zur Bar und kehrte kurz darauf mit zwei hohen Gläsern zurück, in denen sich ein giftgrünes Getränk, jeweils ein Strohhalm und eine Papierpalme befanden.
    »Was ist das?« fragte Tina.
    Er hatte sie nicht verstanden. »Wie?«
    Sie wiederholte ihre Frage schreiend. Er schrie zurück: »Ich weiß nicht! Ich habe gesagt, ich will etwas Starkes, und da hat er mir das gegeben!«

    Schon mit dem ersten Schluck fuhr Tina ein heißer Strom durch alle Glieder. Das Zeug war so stark, daß sie völlig betrunken sein würde, wenn sie das Glas wirklich leerte.
    »Lieber Gott«, sagte sie erschrocken, »da muß jede Menge hochprozentiger Rum drin sein!«
    Auf eine-wie ihr schien - aggressive Weise trank Mario sein halbes Glas in einem Zug leer; er hatte Strohhalm und Papierpalme beiseite gelegt und kippte die Mixtur schwungvoll direkt in den Mund. Dann sah er Tina an. In seinen Augen glomm ein bösartiges Funkeln. »Na?« fragte er. »Amüsierst du dich?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Nicht so toll hier.«
    »Nicht so toll? Was soll das heißen? Du wolltest doch unbedingt hierher! Möchtest du tanzen?«
    »Ich wollte nicht unbedingt hierher. Ich habe nur gesagt...«
    Er sprang auf, zog sie von ihrem Stuhl, lief mit ihr zur Tanzfläche. Hier wurde die Luft um noch einige Grade stickiger, und es roch durchdringend nach Schweiß. Mario schien das nicht zu bemerken, zumindest störte es ihn nicht. Auf eine wilde, hektische Art fing er an zu tanzen, wobei seine Bewegungen ungewöhnlich abgehackt wirkten.
    Er ist ein bißchen betrunken, dachte Tina, kein Wunder, so wie er dieses Zeug runtergeschüttet hat...
    Sie fing ebenfalls an zu tanzen und war sich in den ersten Minuten ihres Körpers allzu bewußt, merkte, wie steif und ungelenk sie aussehen mußte. Aber nach und nach entspannten sich ihre Muskeln, sie hörte auf, über ihre Arme und Beine nachzudenken, überließ sich dem Rhythmus, versuchte nicht länger, ihre Bewegungen zu kontrollieren, sondern gab sich der Musik hin. Es war ganz einfach. Es war herrlich. Sie schloß die Augen. Das
Leben konnte sehr leicht sein, wenn man es nicht jede Minute im Griff haben wollte. Selbst in einem fensterlosen, heißen, musikdurchtosten Schuppen in Südfrankreich konnte es leicht sein, oder gerade da. War es das, was Dana so dringend brauchte, daß sie es immerzu suchte, daß sie es mitnahm, wo immer sie es bekam? Leichtigkeit und Vergessen. Das völlige Ausschalten quälender Gedanken.
    Für einige Sekunden war ihr Dana sehr nah. So unmittelbar, so erschreckend nah, daß Tina die Augen aufriß und stehenblieb. Als hätte Dana die Hand nach ihr ausgestreckt...
    Ihr gegenüber stand ein großer, dunkelhaariger Franzose. Er lächelte sie an. Unwillkürlich lächelte sie zurück.
    Und dann ging alles sehr schnell: Mario war plötzlich neben ihr, und sein schönes, sanftes Gesicht war von Wut zu einer grotesken Fratze verzerrt. Er schoß auf den fremden Franzosen zu und schmetterte ihm die geballte Faust ins Gesicht, noch ehe dieser überhaupt begriff, was vor sich ging. Der Franzose ging zu Boden. Alle Tanzenden wichen zur Seite. Mario stürzte sich auf den am Boden liegenden jungen Mann und fing an, ihn gnadenlos mit den Fäusten zu traktieren, von allen Seiten, und ganz gleich, wohin er traf. Als der andere sich endlich zu wehren begann, blutete er bereits aus Mund und Nase und krümmte sich vor Schmerzen. Auf gespenstische Art wurde die schreckliche Szene von der buntes Licht versprühenden Kugel über der Tanzfläche zuckend beleuchtet.
    »Aufhören!« schrie Tina. »Um Gottes willen, Mario, hör auf!«
    Sie versuchte, Mario von seinem Opfer wegzuzerren, aber er hatte sich verkrallt wie ein tollwütiges Tier und schien Tinas Bemühungen nicht einmal zu bemerken. Der
Franzose hatte jede Gegenwehr bereits wieder aufgegeben; er versuchte nur noch, sich durch schwache Bewegungen mit Armen und Händen vor Marios umbarmherzigen Schlägen zu schützen.
    »Helft ihm doch!« schrie Tina. Es war alles so schnell gegangen, daß die Umstehenden noch immer nicht richtig zu begreifen schienen. Keiner rührte sich.
    »Helft ihm doch, verdammt! Helft ihm!« Sie brach fast in Tränen aus. »Er bringt ihn

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