Die Suende der Engel
gibt nichts, was ich ihm vorwerfen könnte. Absolut nichts«, sagte sie. In paradoxem Widerspruch zu ihrer Aussage klang ihre Stimme fast verzweifelt. »Er hat mir nie etwas getan. In mancher Hinsicht hat er... hat er mich besser behandelt als du.«
»Ich verstehe.«
»Trotzdem bindet mich nichts an ihn. Nicht einmal mehr unsere Kinder. Es ist so ungerecht!«
»Ach, Janet! Seit wann sind unsere Gefühle gerecht? Du bist doch keine Heilige!«
Sie schüttelte den Kopf, sah an Andrew vorbei zum Fenster, hinter dem die Nacht lag. »Es wird entsetzlich schwer werden«, sagte sie leise.
»Es wird auch entsetzlich schwer werden, mit einem
Beamten von Scotland Yard zu leben, der Depressionen bekommt, wenn er einen Verbrecher laufen lassen muß«, sagte Andrew. »Bist du sicher, daß du es willst?«
»So sicher, wie ich es schon früher war.« Ihre Stimme klang dumpf, weil Andrew sie plötzlich an sich gezogen hatte. Ihr Gesicht preßte sich in den Baumwollpullover, den er sich noch im Auto zum Schutz vor der Kühle des Abends übergezogen hatte. Sie konnte spüren, wie seine Hände unter ihr T-Shirt glitten, die Linie ihrer Hüften, ihrer Taille hinauf nachzeichneten. Er schob sie ein Stück von sich und umfaßte ihre Brüste. Sie keuchte leise. Seine Hände griffen fester und fordernder zu.
»Woran denkst du?« flüsterte er in ihr Ohr.
»An dich.« Es stimmte. Er mußte sie nur berühren, und sie vergaß Phillip von einer Sekunde zur anderen. Sie hob den Kopf, öffnete ihm ihre Lippen, nahm seine Zunge in den Mund. Das Schlimme war, daß er sie im Grunde nicht einmal anfassen mußte, um sie in diesen Zustand der Erregung zu versetzen. Es reichten ein Blick, seine Stimme, manchmal nur ein Bild, ein Geruch, eine Stimmung, die sie an ihn erinnerten. In den langen letzten achtzehn Jahren ohne ihn war es immer so gewesen. Ein After-Shave, dessen Duft sie im Vorbeigehen streifte und zumindest Ähnlichkeit mit den von ihm bevorzugten Marken aufwies: eine Stimme, die flüchtig an ihr Ohr drang und der seinen glich - immer sah sie sich dem Verlangen ausgeliefert, ihn sofort bei sich zu haben, auf der Stelle mit ihm zu schlafen. Er war der einzige Mann, bei dem sie von Sex in dunklen Straßenecken oder im Nebenzimmer einer turbulenten Party träumte; von Sex, der mit zerrissener Wäsche und Kratzspuren endete, der hastig, heftig, unkontrolliert und mit einem gewalttätigen Aspekt versehen war. Nie ersehnte sie das bei anderen Männern, auch wenn sie sie attraktiv fand, am allerwenigsten
bei Phillip, der sich um die Vervollkommnung seiner Fähigkeiten als perfekter Liebhaber mit dem unermüdlichen Eifer eines strebsamen Schülers bemühte. Einmal hatte er - sie erwähnten es beide in stillschweigender Übereinkunft nie mehr in den folgenden Jahren - nach der Lektüre eines Artikels über heimliche masochistische Wünsche bei Frauen einen nächtlichen Überfall auf Janet inszeniert, hatte sich auf sie gestürzt und dabei die fauchenden Laute eines entfesselten wilden Tieres von sich gegeben, und Janet hatte nicht verhindern können, darüber einem Lachkrampf zu erliegen. Phillip war tief verletzt gewesen.
»Mach es doch einfach ganz normal«, hatte sie gesagt, als sie endlich wieder sprechen konnte, aber Phillip war wochenlang weder zu normalem noch zu ausgefallenem Sex in der Lage gewesen.
Irgendwie entledigte sich Andrew seiner Kleider, ohne dabei aufzuhören, Janet zu streicheln, mit den Lippen zu berühren. Er drängte sie auf das Sofa, das an der Längsseite des Zimmers neben der Tür stand und das noch aus seiner Studentenzeit stammte; stundenlang hatten sie sich seinerzeit darauf geliebt. Janet vernahm ein Geräusch von reißendem Stoff; Andrew hatte ihren Slip zerrissen, und gleich darauf war er auf ihr und in ihr, ohne daß ihr allzu bereitwilliger Körper Widerstand geleistet hätte. Sie stöhnte auf und sagte eine Menge Worte, an deren Sinn sie sich später nicht mehr erinnerte, und er sagte ebenfalls etwas zu ihr, mit scharfer Stimme, und auch davon wußte sie nachher nichts mehr. In ihrem Leib explodierte ein Feuer, und in den Flammen starb jedes Denken, jedes Empfinden jenseits dieses Raumes, jenseits dieses Mannes.
Erst viel später, als sie wieder klar zu denken vermochte und sich zurückerinnerte, kam ihr in den Sinn, daß es das
Eingeständnis ihrer Schuldgefühle gegenüber Phillip gewesen war, was Andrew wild gemacht hatte. Auf bewährte Weise hatte er sich in Sekundenschnelle seine Beute erneut
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