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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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massiver auf den abrupten Tablettenentzug reagierte, und betete, daß es nicht schlimmer wurde.
    Am Busbahnhof setzte er sich auf eine Bank, versuchte zu schlafen. Die Nacht war sehr warm; dies und das kurz zuvor eingenommene Essen ließen Maximilian sich einigermaßen entspannt fühlen. Nur das Zittern bedrückte ihn. Er war seinem Bruder so nah... Morgen konnte er sich überzeugen, daß alles in Ordnung war, und dann würde er sich stellen, und was dann kam, würde man sehen... Vielleicht könnte er... Aber da verwirrten sich bereits seine Gedanken, der Kopf fiel ihm auf die Brust, die Strapazen der letzten Tage überwältigten ihn, und er glitt von einem Moment zum anderen in tiefen Schlaf.

    Sie waren stundenlang durch die Nacht gebraust, kreuz und quer, in gefährlich überhöhter Geschwindigkeit. Mario achtete nicht im geringsten darauf, wohin er fuhr, er jagte den Wagen über Landstraßen und über Feldwege, auf denen er von einem Schlagloch zum nächsten sprang und es den Anschein hatte, als müßten die Achsen des Autos jeden Moment brechen. Dann wieder tätigte Mario urplötzlich und aus dem rabiatesten Tempo heraus eine Vollbremsung, bei der er und Tina in die Gurte geschleudert wurden, daß sie nach Luft schnappten. Er riß das Steuer herum und raste den Weg zurück, den sie gerade erst gekommen waren, und dabei peitschte er den Wagen zu einer mörderischen Geschwindigkeit hoch, bei der sie unweigerlich ums Leben gekommen wären, hätte er nur für einen Augenblick die Kontrolle über das Fahrzeug verloren.
    Am Anfang hatte Tina geschrien, hatte ihn angefleht, langsamer zu fahren, hatte um eine Erklärung gebettelt, hatte geweint. Nichts davon schien Mario zu erreichen. Er gab keine Antwort, zeigte keine Reaktion. Er starrte geradeaus in die Nacht, in den Augen einen fanatischen, wirren Ausdruck, der Tina schaudern ließ. Irgendwann hörte sie auf, mit ihm zu reden, sie barg ihr Gesicht in den Händen und betete lautlos, es möge ihnen niemand entgegenkommen, denn das hätte unweigerlich zu einem Unfall geführt. Dann irgendwann wurde ihr schlecht bei der Vorstellung, was passieren würde, wenn niemand diesen Wahnsinnigen am Steuer stoppen würde, und nun betete sie, es möge ihnen doch jemand begegnen, irgend jemand, am besten eine Polizeistreife. Als Mario wieder einmal eine Vollbremsung vollführte, hob sie den Kopf in der Hoffnung, er habe angehalten, weil sich ihnen jemand in den Weg gestellt hatte. Aber weit und breit war niemand zu sehen. Sie standen auf einer schmalen, steil
bergauf führenden Straße, rechts von ihnen aufsteigende Felsen, links ein tiefer Abgrund, und Tina bemerkte voller Schrecken, daß er in die Berge gefahren war, in den Grand Canyon du Verdon, in dem es wimmelte von Schluchten und halsbrecherischen Serpentinenwegen.
    »O Gott«, flüsterte sie.
    Mario starrte auf das Amaturenbrett. »Wir haben nicht mehr viel Benzin«, sagte er. Es waren die ersten Worte, die er seit Stunden sprach, und angesichts des Irrsinns, in dem er sich befand, hatte der Realismus seiner Aussage beinahe etwas Erschreckendes.
    »Wir sollten eine Tankstelle aufsuchen«, sagte Tina mit bemüht ruhiger Stimme. An einer Tankstelle konnte sie entkommen. Dort gab es Menschen, zumindest einen Tankwart. Sie würde ihn um Hilfe bitten. »Laß uns ins Tal zurückfahren und eine Tankstelle suchen.«
    Mario warf ihr einen finsteren Blick zu. »Das werden wir nicht tun.«
    Er verfiel in angestrengtes Grübeln, es war seinem Gesichtsausdruck anzusehen. Der Motor lief noch.
    »Mach doch den Motor aus«, bat Tina zaghaft, »wir verbrauchen doch immer noch mehr Sprit!«
    Er schien sie wieder einmal nicht zu hören. Tina erwog, die Tür aufzustoßen, hinauszuspringen und davonzurennen. Sie hatte keine Ahnung, wo genau sie sich befanden, aber wenn sie immer bergab lief, mußte sie irgendwann auf Menschen stoßen. Doch würde sie so weit kommen? Mario war kräftiger als sie, vermutlich auch schneller, in seiner Wut noch entschlossener und stärker als gewöhnlich. Und nicht mehr zurechnungsfähig. Vielleicht schlug er sie tot, wenn er sie erwischte. Sie durfte nichts tun, was seinen Zorn steigern konnte.
    »Ich weiß, wohin wir fahren,« sagte Mario plötzlich. Seine Stimme klang völlig normal. Sie hätten ein ganz
gewöhnliches, junges Liebespaar sein können, das überlegte, wie ein gemeinsamer Sonntagnachmittag gestaltet werden könnte.
    »Wohin fahren wir denn?« fragte Tina. Sie bemühte sich, ebenfalls ganz normal zu

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