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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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klingen, aber sie hatte nicht den Eindruck, daß es ihr gelang. Ihre Stimme hörte sich an, als habe sie Watte im Mund.
    Er antwortete nicht, sondern fuhr los. Er schien genau zu wissen, wohin er wollte, und auch, wie er dort am besten hinkam, denn er fuhr mit schlafwandlerischer Sicherheit über die Serpentinenwege, und zum Glück hatte er inzwischen auch das Tempo gemäßigt; es war, als habe sich mit dem Bewußtsein, ein Ziel für diese nächtliche Fahrt zu haben, der Krampf in ihm gelöst, als sei ein innerer Frieden über ihn gekommen. Auch sein Gesicht war ruhiger. Er bog in einen schmalen Feldweg ab, der steil bergauf führte. Der Wagen rumpelte hin und her, sosehr sich Mario auch bemühte, die schlimmsten Unregelmäßigkeiten zu umfahren. Tina spähte angestrengt hinaus, versuchte, irgendeinen Anhaltspunkt dafür zu entdecken, wo sie sich befanden. Auf jeden Fall nicht auf dem Weg zum Haus. Sie fuhren nur immer weiter in die Berge hinein.
    Wo schleppt er mich hin? dachte sie panisch. In welche gottverdammte Einsamkeit bringt er mich?
    »Mario...« Ihre Stimme klang schrill.
    Er wandte den Kopf zu ihr. Seine Augen blickten leer. »Ja?«
    »Mario, wohin fahren wir?«
    »In unser Zuhause.«
    »In unser... meinst du, zum Ferienhaus zurück?« Es schien ihr auf einmal als der begehrenswerteste Ort der Welt. Dort gab es Nachbarn. Sie konnte schreien, und man würde sie hören. Sie würde nicht noch einmal so
dumm sein, den Mund zu halten. Sie würde kreischen, bis das Glas zersprang. Vielleicht... vielleicht nahm er gerade nur eine verrückte Abkürzung? Sie wußte selbst, daß sie sich einer absurden Hoffnung hingab.
    Er warf ihr einen langen, eigentümlichen Blick zu. »Dort ist nicht unser Zuhause.«
    »Wo ist es dann?«
    Mario antwortete nicht. Sie machte einen erneuten Versuch. »Ich... ich will gerne mit dir in unser... Zuhause, Mario. Es ist nur... alle meine Kleider sind noch im Ferienhaus, und meine... meine Zahnbürste... Könnten wir nicht rasch dort vorbeifahren und unsere Sachen holen? Es... es würde ja nicht lange dauern...« - Bitte, lieber Gott, laß mich ihn überzeugen.
    Mario antwortete wiederum nicht. Er machte plötzlich ein angestrengtes Gesicht, so, als lausche er auf etwas.
    »Hörst du?« fragte er.
    Im ersten Moment wußte Tina nicht, was er meinte, aber dann vernahm sie das leise Stocken und Tuckern im Motor, und im nächsten Moment wurde es auch schon deutlich: Das Auto gab noch ein paar bellende, würgende Geräusche von sich, stotterte ein Stück voran, blieb dann abrupt stehen. Der Benzintank war leer.
    Jetzt zögerte Tina nicht länger: Sie riß die Beifahrertür auf und sprang hinaus in die Dunkelheit.
    Sie rannte bergab, in die Richtung, aus der sie gekommen waren Sie wußte, daß es hier weit und breit keine menschliche Siedlung gab, aber wenn es ihr gelang, genügend Abstand zwischen sich und Mario zu legen, kam ihr vielleicht die Dunkelheit zu Hilfe. In der Nacht konnte sie untertauchen, aber dazu mußte sie ihren Verfolger abschütteln. Sie fühlte sich extrem gehandicapt durch ihre dünnen Sandalen, das denkbar schlechteste Schuhwerk für eine steile Geröllhalde. Sie rutschte und stolperte, fiel
zweimal hin, konnte sich jedoch jedesmal wieder aufrappeln.
    Hinter sich hörte sie Mario schreien: »Bleib stehen! Bleib sofort stehen!«
    Sie beschleunigte ihr Tempo noch. Sie konnte ihr Herz hämmern, das Blut in ihren Ohren rauschen hören. Ihr Atem ging keuchend. Und dann plötzlich verlor sie erneut das Gleichgewicht, ihr rechter Fuß knickte am Knöchel um, ein scharfer Schmerz schoß ihr Bein hinauf, und mit einem Aufschrei fiel sie zu Boden.
    Sie merkte nicht, daß sie sich Arme und Beine blutig schürfte. Sie krümmte sich zusammen, wissend, daß sie verloren war.
    Er hatte sie im Nu erreicht und zerrte sie in die Höhe. Seine Hände hielten ihre Oberarme umklammert wie eiserne Zangen.
    Tina schrie erneut. »Mein Fuß! Ich kann nicht stehen, Mario! Laß mich los!«
    Der Schmerz im Knöchel sandte glühende Pfeile das Bein hinauf. Mario scherte sich einen Dreck darum. Mit der linken Hand hielt er sie weiterhin fest, mit der rechten holte er aus und schlug sie ins Gesicht, wieder und wieder. »Du wirst mir nicht noch mal weglaufen, elendes, kleines Flittchen! Ich bring’ dich um, wenn du’s noch mal tust, ich schwöre dir, ich bring’ dich um!«
    Mit ihrem freien Arm versuchte Tina, ihr Gesicht vor den Schlägen zu schützen, aber sie hatte keine Chance gegen den rasenden

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