Die Suenden der Vergangenheit
Hochzeit ist es nicht mehr lang. Ich bin sehr aufgeregt. Es kann nicht schlimmer sein als die Geburt unserer Tochter. Nein, wirklich nicht. Ich fürchte mich nicht vor dem Schmerz, sondern blicke der gemeinsamen Zukunft mit Lawrence und Gloria voller Sehnsucht entgegen. Sie sind das Liebste und Wertvollste, das ich besitze.
...
Deirdre
Oh Gott, ihre Mutter hatte sich darauf gefreut, eine Immaculate zu werden. Schließlich bedeutete es für sie, für immer mit ihrer Familie zusammen zu sein, lange Zeit nicht zu altern und ihr Glück bis ans Ende aller Tage genießen zu können. Es gab keinen Grund, sich vor irgendetwas zu fürchten.
Ganz im Gegenteil. Mit dem richtigen Gefährten an der Seite hatte man die Aussicht auf ein scheinbar perfektes Leben bis in alle Ewigkeit. Natürlich gab es Höhen und Tiefen, wie in jeder normalen Beziehung, aber ihre Eltern schienen Gloria füreinander bestimmt zu sein. Für Lawrence gab es nur Deirdre und umgekehrt. Sie hätten einander niemals aufgegeben und das furchtbare Unglück, das sich ein paar Wochen später ereignete, bestätigte diese Theorie.
Ihr Vater hatte viel früher als geplant das perfekte Heim für seine Familie gefunden und wollte noch eher einziehen als ausreichend Sicherheitsvorkehrungen treffen, da er die Geduld und die Liebe seiner Frau schon so lange strapaziert hatte. Er wollte sie einfach überraschen.
Selbst mit dem Wissen, dass er geglaubt hatte, Deirdre und das Baby eine Nacht lang allein beschützen zu können und kläglich gescheitert war, konnte Gloria nicht böse auf ihn sein. Sie verstand seine Beweggründe, auch wenn es sehr weh tat, sich die letzte eilig und nicht mehr schön hingeschriebene Notiz ihrer Mutter lesen zu müssen.
Ein abgerissenes Stück Papier, auf dessen Rückseite eine Werbeanzeige aus den Achtzigern prangte, die Gloria nicht in Erinnerung hatte. Mehr war nicht zur Hand gewesen, während sich Deirdre im oberen Schlafzimmer versteckte und Lawrence versuchte, der Übermacht von Ghouls im Erdgeschoss Herr zu werden.
Keine Ansprache, keine lieben Worte, nur das eindringliche Bitten und Flehen einer Mutter, die ihr Kind gut versorgt wissen wollte.
...Kümmer dich um sie. Kämpfe um sie. Sorg dafür, dass Mathilda ihre todbringenden Krallen nicht in sie schlagen kann. Lawrence hat seine Angelegenheiten nicht geregelt. Sei schneller als Salama, Morrigan, ich bitte dich. Lass nicht zu, dass Mathilda sie bekommt. Gloria wird das nicht überleben. Du weißt das. So wie ich weiß, dass mein Traum von einem glücklichen Leben nicht in Erfüllung gehen wird. Lawrence würde mich niemals allein lassen. Die Verbindung unserer Seelen steht über allem. Auch über unserer Tochter.
...
Ich weiß, dass du alles tun wirst, um Gloria zu der Frau werden zu lassen, von der ich mir vorgestellt habe, wie sie eines Tages sein wird. Eine strahlend schöne Frau, die deinem Haus und ihren über sie wachenden Eltern alle Ehre macht.
...
Ray wird ihr bestimmt ein guter Bruder sein.
...
Halte die Erinnerungen an uns für Gloria wach.
In aufrichtiger Zuneigung und Liebe, Deirdre.
Die letzten Worte ihrer Mutter, bevor sie starb. Gloria wusste nicht, wo sie den Brief versteckt hatte und wo man sie als Baby schließlich fand. Sie wusste nur, dass sie überlebt hatte und das tat jetzt, nachdem sie die Bilder gesehen und Briefe gelesen hatte, mehr weh als alles andere.
Wäre es nicht besser gewesen, wenn die Ghouls sie ebenfalls gefunden hätten? Wäre sie jetzt dann bei ihren Eltern statt in dieser Situation, die so sehr nach Sackgasse aussah? Sie hätte eine Familie haben können. So, wie es ihre Mutter es sich kurz vor ihrem Tod für ihre Tochter gewünscht hätte. Warum war es nie soweit gekommen? Warum hatte man verfügt, dass sie zu Mathilda musste? Eine Frau, die sie zwar liebte, aber nicht so sehr, um zu verhindern, dass sie starb. Eine Frau, die die Erinnerungen an ihre Eltern hatte verkümmern lassen. Warum hatte sie nie ein Wort gesagt? Nicht eine einzige Erklärung darüber abgegeben, dass Gloria, die schließlich nicht erst seit gestern anders war als alle anderen und deren Fragen sie doch förmlich aus ihrem Kopf heraus hätte erahnen oder lesen konnte.
Mathilda hatte sicher nichts von ihren Grundfähigkeiten eingebüßt, wenn sie unsterblich war und hin und wieder Blut trank, um zu überleben. Und Peter? Über ihn stand in den Briefen an Morrigan kein einziges Wort. Offenbar war er nur mit ihrer Tante befreundet. Außerdem war seine Hilfe
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