Die Suenden der Vergangenheit
zu spät gekommen. Er hätte früher etwas unternehmen müssen.
Gloria drehte sich wieder auf den Rücken und sah immer noch weinend aber gleichzeitig lächelnd zur Zimmerdecke. Sie hätte einen Bruder haben können. Diesen Raynor?! Deirdre konnte nur von ihm gesprochen haben. Das wäre was gewesen, wenn er sie irgendwann einmal wie ein großer Bruder zur Schule gebracht hätte. Ihre Mitschülerinnen hätten sich wohl darum gerissen, mit ihr befreundet zu sein und nur deshalb, um auch in Rays gut aussehendem Schatten stehen zu dürfen.
Das Lächeln wurde zu einem Kichern, dann zu einem Lachen. Wenn sie ihn sich vorstellte, wie er vor einer Horde Mädchen davon rannte, die ihm in irgendeiner Ecke aufgelauert hatten, war er nicht mehr so groß und bedrohlich wie bisher. Dabei wusste sie gar nicht, ob sie ohne Mathilda eine normale Schule besucht hätte. Es war einfach nur ihre Fantasievorstellung.
Wenn sie noch mehr Antworten wollte, musste sie Fragen stellen. Gloria schlug die Zudecke fort und stand auf. Im Bad stellte sie die Dusche an, schälte sich aus dem Pyjama, der nach zwei Tagen Dauertragen sowieso unangenehm geworden war und machte sich frisch. Draußen würde es warm sein, also wählte sie ein dunkelblaues Leinenkleid mit Polokragen und weiße Segelschuhe, auf denen sie sich am schnellsten würde fortbewegen können, sollte ihr noch einmal Gefahr drohen.
In der Schublade ihres Schreibtisches lag ihre Ersatzbörse. Es waren noch genau zehn Dollar darin. Nicht viel, aber für ein paar Blumen würde es reichen. Ihr fiel ein, dass sie ihre Kreditkarte sperren und ihre Papiere als vermisst melden musste. Und ihr Mobiltelefon war auch weg. Der Haustürschlüssel auch. All dies war bei dem Überfall verloren gegangen.
Gloria seufzte leise. Über Dinge, die nicht zu ändern waren, würde sie jetzt nicht wieder heulen, nachdem sie ein bisschen Make-up aufgelegt hatte, das von Tränen nur ruiniert werden würde.
Die feuchten Haare band sie zum Zopf, steckte die Börse in eine Tasche, holte aus der Küche eine Papiertüte für das Album und klemmte sich den Packen unter den Arm. Ihre zweite Handtasche baumelte locker von der linken Schulter herunter.
Der Enforcer zeigte sich erst nach einer Weile, als Gloria ganz angestrengt Gedanken in seine Richtung schickte. Er gab sich verwirrt und stellte sich ihr als Malcolm Lancaster vor, nachdem sie ihm ihre Hand hinstreckte und sich vorstellte. Sie bestand darauf, Gloria genannt zu werden. Nach Burton stand ihr gerade nicht der Sinn. Auf die Frage, ob sie wüsste, dass er nur Undercover arbeitete, lächelte sie nur wieder geheimnisvoll und wies ihn mit neu gewonnener Kraft an, sie zu Morrigan Avery zu bringen, nachdem er für sie an der Ecke noch einen Strauß Blumen von ihrem letzten Bargeld gekauft hatte.
Prehistorical Ethnical Museum (PEM), Central Park North
Auf dem Antlitz der makellos schönen Frau zeigte sich keine Regung, während sie in ihrem eleganten Büro mit einigen potentiellen Geldgebern verhandelte. Sie blieb unbewegt und unverbindlich höflich. Ihre Verhandlungspartner hingen wie gebannt an ihren Lippen, die dezent in einem Korallenrotton betont waren, der ihren hellen Teint zum Strahlen brachte. Darüber hinaus trug sie kein weiteres Make-up, das sie mit ihrer perfekten Haut und den fein gemeißelten Wangenknochen auch nicht nötig hatte. Ihre smaragdgrünen Augen waren von langen, dunklen Wimpern umgeben. Jeder ihrer Blicke ging einem durch und durch, selbst wenn sich dahinter keine aggressive Absicht verbarg.
Sie trug ein weißes Kostüm von Yves St. Laurent, das man heutzutage wohl als Vintage bezeichnen würde, obwohl es sich seit Jahrzehnten in ihrem Besitz befand. Sie legte sehr viel Wert auf ihre Kleidung, die meistens in sehr klaren Linien gehalten war, die ihren kühlen Typ am besten unterstrichen. Dazu hatte sie kühn Accessoires kombiniert, die den Ton ihres Lippenstiftes wiedergaben, so dass man sie sich durchaus als Cover von solchen Zeitschriften wie VOGUE oder VANITY FAIR vorstellen konnte. Die schweren, schwarzen Haare hatte sie elegant im Nacken zusammengefasst, ihre Ohren schmückten einfache Rubine, die dezent im Sonnenlicht glitzerten.
Ihre gepflegten Hände mit den schmalen Fingern, die in polierten aber kurz gehaltenen Nägeln endeten, ruhten meistens auf der Unterlage ihres Schreibtisches, hinter dem sie wie eine majestätische Erscheinung residierte.
„Es freut mich sehr, dass wir zu einer für beide Seiten zufrieden
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