Die Suenden der Vergangenheit
stellte ihre Teetasse ab und schenkte Gloria nach, selbst wenn sich diese nur mit deren Inhalt ablenken wollte. Sie schob auch die Biskuits, die auf einem Teller angerichtet waren, in ihre Richtung, weil sich mit Wirkung des Mittels sicher auch etwas Appetit einstellen würde.
Gloria glaubte immer noch, dass Mathilda sie liebte und das es nicht nur darum gegangen war, ihr ein Dach über dem Kopf und drei Mahlzeiten am Tag zu gewähren. Doch sie verstand Morrigan auf ihre Weise sehr gut. Quelle des Wissens klang so erhaben und allmächtig. Wenn Mathilda irgendwann einmal Eine der ganz Großen gewesen war, hätte sie Gloria nicht klein halten dürfen. Denn so hatte sie selbst den Teil der Macht missbraucht, der ihr nach ihrem Ausscheiden aus dem erlauchten Kreis der Immaculates verblieben war.
Gloria schämte sich nicht mehr nur für sich selbst und ihren aufgelösten Zustand sondern nun auch für ihre Tante und deren Verfehlungen. Selbst wenn sie nicht die Schuld daran trug, musste es zumindest einer aus ihrer Familie tun. Und sie war eben die Einzige, die übrig war.
„Was für Konsequenzen?“
Schockiert sah Gloria Morrigan in die Augen und fand ihre schlimmsten Befürchtungen darin bestätigt. Die Devena gab weder mit Blicken noch sonst einer Geste darüber Auskunft, was Mathilda zu erwarten hatte. Gutes würde es aber in keinem Fall sein. Gloria schluckte schwer und ließ sich matt zurück in den Sessel gleiten, wo sie schier kraftlos geworden hängen blieb. Einen Biskuit wollte sie nicht mehr. Es sah zu sehr nach der Belohnung eines immer braven Mädchens aus. Wenn sie mehr gefragt hätte und aufmüpfig gewesen wäre, dann hätte ihre Tante vielleicht ein Einsehen gehabt und sie darüber aufgeklärt, wer ihre Eltern gewesen waren und woher Gloria kam. Wenn man Mathilda bestrafte, dann trug sie eine Mitschuld daran. Egal, was die anderen sagen oder wie man das Schicksal zu ihren Gunsten drehen mochte, die Schuldigkeit, die sie heimsuchen würden, wenn ihrer Tante etwas passierte, würde sie ewig verfolgen.
„Es ist noch viel zu früh, sich ein Urteil über die Sympathien der anderen zu machen, Gloria. Sie reagieren alle sehr heftig auf dich, weil sie auf die ein oder andere Weise dasselbe Schicksal wie du geteilt haben. Ich denke, dass Catalinas scheinbare Ablehnung dir so heftig erscheint, weil ihre Erfahrungen den deinen in unheimlicher Weise gleichen. Wenn sie Wut verspürt, dann nur deiner Situation gegenüber und nicht deinetwegen. Und schon gar nicht wegen des Schmuckstücks. Nico wollte schließlich nur für deinen Schutz sorgen und man kann sich zwar in jeder Ecke ein Kruzifix kaufen, doch es bedarf der Weihung durch einen Priester, um es zu einer wirkungsvollen Waffe zu machen. Behalte es solange, bis du die Sachen deiner Mutter verehrt bekommst. Sie befinden sich an einem sicheren Ort. Genauso wie das Vermögen, das deine Eltern dir hinterlassen haben, auch wenn es mit unseren Maßstäben gemessen nicht besonders groß ist. Es wurde gut verwaltet. Flavia Halos ist ebenfalls mit deiner Mutter befreundet gewesen und hätte auch zur Wahl gestanden, dich aufzunehmen. In jedem Fall hätte sie den Platz der Patin übernommen. Sie wird nur ein paar Formalitäten erledigen und dir dann Schmuck und Papiere übergeben. Mathilda wollte mit dem Ganzen nichts mehr zu tun haben, so dass Flavia nach eigenem Gutdünken darüber verfügt hat, aber keine Sorge, sie ist eine ausgezeichnete Finanzverwalterin.“
Als wäre dem Kind das Geld wichtig, aber es stand ihr zu und sie sollte alles erfahren. Zu den Folgen, die Mathildas Handeln haben würde, äußerte sich Morrigan lieber nicht. Das hatte noch Zeit.
Es fühlte sich an, als hätte Gloria jemand gleichzeitig Eiswürfel in den Ausschnitt gekippt und ein Messer in die Brust gerammt. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen heftig und es war wieder einer dieser Momente, von denen Gloria nicht wusste, ob sie sich freuen oder erneut weinen sollte.
„Es gibt noch mehr?“
Dinge, die sie ihr hinterlassen hatten? Dinge, die ihre Eltern besessen und genauso wertgeschätzt hatten wie ihre kleine Tochter?
„Oh, mein Gott!“, wisperte Gloria ungläubig und fühlte gleichzeitig die Freude darüber, dass ihre Eltern jemandem wirklich etwas bedeutet haben mussten, damit man all die Jahre gut mit ihren Hinterlassenschaften umgegangen war. Sie wagte nicht zu fragen, wann und wie man ihr diese Dinge übergeben würde. Dabei dachte sie nicht an das Geld sondern nur daran, wie
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