Die Suenden der Vergangenheit
vollständig verschluckt.
Romy richtete sich auf und setzte sich auf ihre Unterschenkel, um den Kopf in den Nacken zu legen und den Regen die Tränen von ihren Wangen abwaschen zu lassen. Sie konnte einfach nicht aufhören zu schluchzen und konnte sich nicht mehr beherrschen, nachdem sie ihren Vater gerade gesehen hatte. Sie war auf der Suche nach Antworten gewesen, deren Inhalt sie nun praktisch unter sich begrub. Sie war bis ins Mark erschüttert. Das konnte sie auf keinen Fall ihrer Schwester zu Beginn eines neuen Lebensabschnittes erzählen. Dass die Mutter aus lauter Verzweiflung Selbstmord begangen hatte, konnte man ihrem Geisteszustand zuschreiben, der sich wohl durch die hinausgezögerte Umwandlung noch verschlimmert hatte, aber die volle Tragweite der Geschehnisse überforderte selbst sie. Gerade konnte sie nicht riskieren, einen weiteren Blick zu wagen, da sie das Gefühl hatte, sie würde selbst verrückt werden, wenn sie alles erfuhr.
Romy stemmte sich nach oben, wobei ihre steifen Glieder sogleich protestierten. Sie fühlte sich klamm an, zitterte am ganzen Leib und irrte durch die engen Gänge zwischen den Armengräbern umher, weil sie kurzzeitig die Orientierung verloren hatte. Sie war noch in den Bildern gefangen, die sie mit Hilfe ihrer Fähigkeiten zu sehen bekommen hatte.
An der Abgrenzungsmauer angekommen mühte sie sich nach oben, wobei ihre Kräfte mitten im Sprung erlahmten und sie sich zuerst an den Rand der Mauer festkrallen musste, wo sie einige atemlose Augenblicke beinahe kraftlos herunter baumelte. Mit einem Aufflackern ihres sonst so unbeugsamen Willens schaffte sie schließlich, doch noch über das Hindernis zu setzen und ihre Maschine zu erreichen, wo sie mit müden Fingern den Helm aufsetzte.
Eigentlich hatte sie danach nach Hause fahren wollen, doch in diesem Zustand konnte sie Bekky nicht über den Weg laufen. Sie musste sich erst wieder beruhigen. Sich aufwärmen, den Schmutz loswerden.
Die unreine Erde des Grabes ihrer Mutter…
Romy würgte hinter der Sichtblende ihres Helmes und presste ihre Hand gegen den schmerzenden Oberbauch, weil sich in ihr alles verkrampft hatte. Sie ließ nicht zu, dass die Übelkeit und die nackte Angst die Überhand gewannen und ließ schließlich den Motor an, um mit halsbrecherischem Tempo über die nassen Straßen zu jagen, wo sie in die Kurven schlidderte und jedes Ausbrechen der Maschine mit einem beinahe fanatischen Aufblitze ihrer Augen zur Kenntnis nahm. Die waghalsigen Manöver lenkten sie von dem brennenden Schmerz in ihr drin ab.
In der Fortress angekommen fuhr Romy ihre vollkommen verdreckte Maschine in die Tiefgarage und fuhr dann mit dem Expressaufzug nach oben. Die Männer waren sicher noch auf Patrouille. Sie selbst konnte sich gerade nicht darauf verlassen, Rys orten zu können. Sie war viel zu aufgewühlt und durcheinander. Oben begab sie sich auf direktem Wege in die Umkleide, die die weiblichen Krieger nach dem Training benutzten. Romy ließ ihre durchweichten Klamotten einfach auf den Boden fallen und schwankte dann in die Gemeinschaftsdusche, wo sie heute Morgen noch mit Cat und Nico herum geblödelt hatte.
Catalina…
Allein der Gedanke an ihre Freundin ließ die Erinnerungen wieder in ihr aufsteigen. Heiße Fontänen aus ätzender Säure, die in ihren Augen und ihrer Kehle ein beißendes Gefühl hinterließen. Sie fiel gegen die mit Silberfäden durchwirkten Marmorkacheln in ihrem Rücken und glitt dann kraftlos auf den Boden, wo sie die Knie an den Körper zog und das Gesicht in den Händen vergrub. Das war einfach alles zu viel für sie.
Sie hatte doch nur wissen wollen, ob ihr Vater sie wirklich geliebt hatte, doch sein Leiden mitzuerleben, war einfach unerträglich.
Sie hatte so viel verloren!
° ° °
Draußen goss es in Strömen, doch das Wasser aus himmlischen Fontänen reichte nicht aus, um irdischen Dreck fortzuspülen, der sich an Haut und Kleidung anheftete wie Kaugummi unter der Schuhsohle.
Chryses und Nathan waren bis auf die Knochen durchgeweicht von Regen und Blut ihrer Feinde. Es war ein harter Kampf auf der Straße gewesen. Lord Rukh hatte den Tod seines Sohnes nicht in stiller Trauer ausgesessen sondern seine Leute auf die Straße geschickt. So viele Ghoul-Übergriffe wie in den letzten Tagen und zurückliegenden Stunden hatte es lange nicht mehr gegeben. Der Feind war zwar allgegenwärtig, aber die Krieger konnten sich allesamt auf Nachtschichten gefasst machen, die von Dämmerung bis Morgengrauen
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