Die Suenden der Vergangenheit
schlechteste Schwester auf diesem Planeten. Dann konnte man ihr gleich den Kopf abschlagen und sie einsargen.
Nein, das konnte einfach nicht der Grund sein. Wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst war, dann störte sie wirklich nur ein Punkt: Die Immaculates waren aufgetaucht, bevor sie eine Gelegenheit gehabt hatte, die Beziehung zu ihrer Schwester, die ihr nun wieder vollkommen fremd geworden zu sein schien, zu festigen. Sie war jetzt lieber mit ihren neuen Freundinnen zusammen als mit ihr. Bekky kannte gerade einmal ihre Namen und das war es dann auch. Sie war auf das Abstellgleis einer Mitbewohnerin geschoben worden. Deshalb wollte sie auch unbedingt ins Wohnheim. Dort würde sie sich vielleicht weniger fremd und unpassend vorkommen. Mit einer vollkommen Fremden zusammenzuziehen, würde ihr wenigstens nicht weiter schlechtes Gewissen bereiten als ihre Schwester weiterhin als fremd geworden zu betrachten.
Wer wusste schon, ob sich in größerer Distanz das Verhältnis zwischen ihr und Romy nicht wieder entspannte. Es machte Bekky zwar traurig, Romy zu verlassen und wollte auch gar nicht wegziehen, doch letztendlich war es ihre Schuld. Ihre Uneinsichtigkeit und das Unverständnis hatten sie überall anecken lassen. Romy schämte sich für sie und Bekky sah keinen Weg, das wieder auszubügeln. Romys neue Freunde betrachteten sie als Störfaktor auf Romanas Weg, eine der angesehenen Immaculates zu werden. Da sollte sie wenigstens so viel Vernunft haben und sich anständig zurückziehen, bevor jemand anderer sie aus dem Verkehr zog.
Bekky konnte schon verstehen, wenn man sauer auf sie war. Ihre Reue darüber hätte ihr aber vermutlich kaum jemand geglaubt. Sie glaubte manchmal ja selbst kaum, was sie dachte.
Bekky seufzte, zuckte die Schultern und knipste die Schreibtischlampe an. Es regnete rein, da der Wind ungünstig stand, aber der Teppich würde trocknen. Es war nur Wasser. Genauso wie die Tränen, die sie manchmal heimlich weinte, weil sie die Spannung zwischen ihr und Romy nicht gut vertrug. Sie wollte nichts weiter als das der Frieden zwischen ihnen wieder einkehrte. Obwohl es ja eigentlich keinen Unfrieden gab. Romys Umwandlung hatte einfach nur eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen gezogen, die Bekky nicht überwinden konnte.
„Es ist meine Schuld... meine Schuld... verdammt!“
Bekky riss eine angefangene Zeichnung von ihrem Block und zerfetzte sie in kleine Stückchen. Der Wind bauschte den Vorhang und riss die Heftzwecken lose, mit denen sie den bunten Stoff an der Wand festgesteckt hatte. Sie sprang auf, um zu retten, was noch zu retten war, schreckte aber im nächsten Moment zurück, als sie plötzlich hinter dem Fenster in den Wirren des flatternden Vorhangs rotglühende Augen zu sehen glaubte.
Ein untrügliches Gefühl beschlich sie, dass jemand auf der Feuerleiter herum spukte, die sich unter ihrem Fenster befand und einer der Gründe ausmachte, warum Romy darauf bestanden hatte, die kleine Schwester sollte unbedingt dieses Zimmer hier nehmen. So war sie im Fall des Falles am schnellsten aus dem Haus. Doch die Leiter befand sich ihres Wissens nach eingezogen an ihrem Platz. Da war niemand. Bekky schloss das Fenster trotzdem, denn sie war ganz allein zuhause und irgendeinem Verrückten indirekt eine Einladung auszusprechen, war nicht unbedingt das, was sie wollte.
Sie kämpfte mit den Heftzwecken und pinnte die Gardine schief zurück an die Tapete. Es hielt mehr schlecht als recht, da sie keine Trittleiter hatte, aber wenn der Wind nicht mehr pfiff, würde es schon bis zum Frühstück am Morgen halten. Sie war nicht entschlossen genug, das erleuchtete Zimmer zu verlassen und sich nach dem kleinen Schrecken vorhin durch den dunklen Flur bis zur Abstellkammer zu tasten, in der sich die Leiter befand. Traurig stellte sie fest, dass sie und Romy nicht einmal dazu gekommen waren, Gardinenstangen zu kaufen oder sonst etwas gemeinsam zur Verschönerung ihrer Wohnung getan zu haben. Bekky hatte sich auch gegen das Blutgeld , wie sie ihrer Schwester an den Kopf geworfen hatte, gewehrt. Bisher war es lediglich zur Anschaffung neuer Sessel unten im Büro gekommen. Sessel, in denen ein Mann wie Chryses Platz nehmen konnte, ohne Angst um sein Leben haben zu müssen.
Chryses, Chryses, Chryses...
Bekky wandte sich vom Fenster ab und zog einen Flunsch. Obwohl Schwestern doch immer über den Freund der jeweils anderen herzogen oder ihre gutgemeinten Ratschläge zur Verbesserung, Erziehung oder einfach nur ihre
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