Die Sünden des Highlanders
förmlich ankündigen zu müssen?«, fragte sie. »Ist es jemand, den ich nicht kenne?«
»Na ja, du kennst ihn, aber du hast wohl nie persönlich mit ihm zu tun gehabt. Er war in den letzten Tagen schon öfter da, aber ich habe ihn nicht vorgelassen. Ich wollte, dass du erst zu Kräften kommst, bevor du mit ihm redest.«
»Warum?«
»Weil er befürchtet hat, die Nachricht, dass du einen Bruder hast, könnte dich zu sehr erschüttern.«
Morainn starrte auf den Mann, der auf der Schwelle stand. Obgleich sie ihn erst ein einziges Mal getroffen hatte, und das vor zehn Jahren, war Sir Adam Kerr, Laird von Dubhstane, jemand, den man nicht so schnell vergaß. Mit seiner beeindruckenden Statur – er war fast zwei Meter groß –, seinen breiten Schultern und seinem sehnigen Körper sah er fast so gut aus wie Tormand. Sir Adam Kerr hatte blaue Augen und dichtes, langes, schwarzes Haar, und außerdem einen sehr schönen Mund, dessen Unterlippe voller war als die obere. Der Mund eines geschickten Verführers, dachte Morainn. Sein Gesicht war so prägnant geschnitten, dass jeder Bildhauer Tränen der Freude vergossen hätte. Seine überraschenden Neuigkeiten dröhnten ihr in den Ohren, sie hatte das Gefühl, als wiche schlagartig das ganze Blut aus ihrem Kopf. Ihr letzter klarer Gedanke war: Warum hatte Sir Adam Kerr ihre Augen?
»Ich habe Euch doch gesagt, dass sie noch nicht stark genug ist«, meinte Tormand und eilte zu Morainn. Er rieb ihr sanft die Handgelenke, um sie aus ihrer Ohnmacht zu erwecken.
»Vermutlich hätte sie die Nachricht auch dann schwer getroffen, wenn sie bei bester Gesundheit gewesen wäre«, meinte Sir Adam und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett.
»Aber warum musstet Ihr es ihr ausgerechnet jetzt mitteilen?«
»Weil sie bislang noch nie dem Tod so nah gewesen war«, erwiderte er leise. »Mir wurde plötzlich klar, dass sie fast die einzige lebende Verwandte ist, die ich noch habe. Mein Vater hat zwar noch ein paar andere Bastarde gezeugt, aber keiner von ihnen hat besonders lang gelebt. Zu dem Zeitpunkt, als ich sie hätte unterstützen können, waren sie schon lange tot und begraben. Nur Morainn ist übrig geblieben.« Sir Adam Kerr lächelte schwach. »Meine Familie hat sich nicht so ausgiebig fortgepflanzt wie Eure.« Er sah wieder auf Morainn. »Ich glaube, sie rührt sich wieder. Wenn Ihr so freundlich wärt – ich würde gern allein mit ihr sprechen.«
Tormand zögerte einen Moment lang, er hätte Kerr die Bitte am liebsten abgeschlagen, doch dann fügte er sich. Als Kerr das erste Mal auf Tormands Schwelle erschienen war, kurz, nachdem Morainns Wunden versorgt worden waren, hätte er dem Mann fast die Tür in sein viel zu schönes Gesicht geworfen. Er wäre beinahe erstickt vor Eifersucht, als er sich die Frage stellte, welche Rolle dieser Mann wohl in Morainns Leben spielte. Doch dann hatte er eine gewisse Belustigung in den Augen seines ungebetenen Gastes aufblitzen sehen, Augen, die denen Morainns auffallend glichen, und hatte seine Eifersucht überwunden. Das war ihm in jenem Moment leichtgefallen, weil ihm schlagartig etwas klar geworden war: Ihm hatte die Vorstellung gefallen, dass Morainn allein auf dieser Welt war und niemanden hatte außer Walin, er also keinen ernsthaften Rivalen um ihre Zuneigung und ihre Aufmerksamkeit zu fürchten hatte. Als Sir Adam Kerr verkündete, dass er Morainn die Wahrheit über ihre Verwandtschaft sagen würde, ging Tormand auf, wie selbstsüchtig er gewesen war. Dafür lehnte er den Mann allerdings erst einmal ab.
Obwohl er Kerr schließlich mehrmals gestattet hatte, nach Morainn zu sehen, hatte er sich standhaft geweigert, den Mann mit ihr reden zu lassen. Er hatte das Gefühl, dass es ein schwerer Schlag für sie sein würde, wenn sie herausfand, dass sie einen Bruder hatte. Sie sollte erst ganz gesund sein, bevor ihr Kerr diesen Schlag versetzte. Dass Morainn bei der Nachricht die Sinne geschwunden waren, zeigte nur, dass er recht gehabt hatte. Wahrscheinlich war es für eine solche Nachricht immer noch zu früh gewesen. Er beschloss, sich auf den Treppenabsatz zu setzen, weit genug weg, damit sich Morainn und Sir Adam ungestört unterhalten konnten, aber nah genug, um mitzubekommen, wenn das Gespräch zu hitzig wurde oder Morainn Hilfe brauchte.
Als Morainn die Augen aufschlug, erblickte sie Sir Adam Kerr an ihrem Bett, der ihr einen kleinen Becher unter die Nase hielt. Einen Dank murmelnd, nahm sie den Becher, roch, dass es Wein war
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