Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
komisch gesprochen hat er auch. Ich könnte mir denken, dass die andern aus der Avenue deshalb nichts mit den O’Reillys zu tun haben wollten. Nicht dass der arme Eugene ihnen noch auf die schönen Möbel sabberte. Der Vater ist ziemlich früh gestorben. Wann genau könnte ich jetzt nicht mehr sagen, aber es muss ziemlich bald nach Eugenes Geburt gewesen sein. Wüsste jedenfalls nicht, dass ich ihn je zu Gesicht bekommen hätte. Beamter war er, der Vater, ziemlich hohes Tier. Im Grundbuchamt, glaube ich, und da hat er wohl ganz ordentlich verdient. Schlecht ging es den O’Reillys jedenfalls nicht.
Wenn ein paar Jungs aus unserer Gang ihren Schabernack mit Eugene getrieben haben, war Alice sofort zur Stelle, um ihren Bruder zu verteidigen. Und mit Alice hat es sich irgendwie auch keiner verscherzen wollen, obwohl sie ja selbst so ein bisschen seltsam war, von wegen mit ihrer Schüchternheit und den guten Manieren. Unsere Streiche hätte sie nie mitgemacht, hat überhaupt meistens ihre Nase in Bücher gesteckt. Wir dachten alle, sie würde mal ins Kloster gehen. Bei den O’Reillys haben die Nonnen sich die Klinke in die Hand gegeben, weshalb wir gewettet hätten, dass die Mutter irgendwas in dieser Richtung vorhatte. Von Susan wussten wir, dass das Haus voll war mit Heiligenbildern. Die meisten hatte Alice gemalt. Susan ist ein paar Mal zum Essen drüben gewesen. Sie hat erzählt, dass Alice ihren Bruder wie ein Baby mit dem Löffel füttern musste. Das Essen wäre schrecklich gewesen, fade und verkocht. Hat uns ganz schön gewundert, ehrlich. Wir dachten, die Leute von der Avenue würden Gurkensandwiches von silbernen Tellern essen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass es wegen Eugene war, das mit dem Essen. Er konnte nichts ab, was irgendwie anders oder ungewohnt war, es sei denn Kekse oder Kuchen, da war er nicht zimperlich. Aber Süßes hat es nur an Weihnachten gegeben oder wenn jemand Geburtstag hatte. So kann jeder ein Opfer bringen, wird die Mutter sich gedacht haben, ganz die gute Katholikin. Ich weiß jedenfalls noch, wie Alice immer reingehauen hat, wenn sie bei uns drüben war, und wie überschwänglich sie das Essen meiner Mutter gelobt hat. Mam hat sich gefreut, dass es ihr bei uns so gut schmeckte.
Susan und Alice waren nicht auf derselben Schule, aber im selben Jahrgang. Manchmal haben sie zusammen Hausaufgaben gemacht. Alice war längst nicht so clever wie Susan, zumindest nicht den Noten nach. Susan ist bei uns in der Familie schon immer die Beste gewesen, hatte mich längst abgehängt mit ihren ganzen Einsen und Zweien. Alice hat immer nur Dreien bekommen, außer in Kunst, da war sie richtig gut. Ich würde gar nicht mal sagen, dass es ihr an Köpfchen gefehlt hat; sie hat einfach nie Zeit gehabt zum Lernen. Sich um Eugene zu kümmern war ein Vollzeitjob. Die Mutter hatte es ewig mit den Gelenken, und mit dem Alter ist das natürlich nicht besser geworden. Aber irgendwann dürfte ihr aufgegangen sein, dass es Alice gegenüber nicht fair war, sie sich ihr Leben lang um Eugene kümmern zu lassen. Als Alice uns gesagt hat, dass sie jetzt doch noch studieren würde, hab ich noch gedacht, na, die sehen wir so bald nicht wieder. Bei uns aus der Siedlung ist noch nie jemand aufs College gegangen. Für Susan hat es mir irgendwie leidgetan, weil sie eine gute Freundin verlieren würde.
Als Alice dann einen Platz an der Kunsthochschule ergattert hat, haben wir nicht schlecht gestaunt. Ich konnte mir echt nicht erklären, was sie da wollte. Ich meine, entweder man kann zeichnen oder man kann es nicht. Alice hat es immer gekonnt, aber sie meinte, es würde um »Technik« gehen. Also, wenn ich ehrlich bin, waren die Sachen, die sie vorher produziert hat, keinen Deut schlechter als das, was sie nach ihrem Studium gemacht hat. Und Kunststudenten … Ich meine, heutzutage laufen ja fast alle jungen Leute so rum, mit gefärbten Haaren und angezogen, dass man kaum noch weiß, was Männlein und was Weiblein ist. Aber damals, in den Siebzigern, gab’s so was nur bei Kunststudenten. Ungelogen. Manche von denen waren sogar Vegetarier, was ja eigentlich schon alles sagt.
Ich hätte wetten können, dass sie es keine Woche dort aushält, aber sie ist dann doch ganze drei oder vier Jahre geblieben. Und dass sie sich so bald nicht mehr blicken lassen würde, da hatte ich mich auch getäuscht. Alice ist zu Hause wohnen geblieben, wegen Eugene vermutlich. Und dass sie und Susan sich nicht mehr so oft wie früher
Weitere Kostenlose Bücher