Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
gesehen haben, hat wohl eher daran gelegen, dass Susan sich fast nur noch mit Dave herumgetrieben hat.
Alice konnte wirklich was, muss man schon sagen. Einmal hatte sie Susan zum Geburtstag so eine kleine Figur gemacht, einen Schwan oder so, aus Keramik. »Der ist richtig gut«, habe ich zu ihr gesagt, »den kannst du glatt verkaufen.« Als sie mich dann angelächelt hat, ist mir zum ersten Mal aufgegangen, dass sie nie im Leben ins Kloster gehen würde. Das war vielleicht ein Lächeln … Mannomann! Die mussten ihr da ganz schön die Nonne ausgetrieben haben, auf dieser Kunsthochschule. Nicht, dass man es ihr angesehen hätte, das nicht. Sie war immer noch anständig angezogen, und ich weiß nicht mal, ob sie während der ganzen Zeit überhaupt mal einen Freund gehabt hat. Vielleicht sind diese langhaarigen Typen ja doch nicht so ihr Fall gewesen.
Irgendwann verschwand Susan dann mit Dave nach London, fing als Köchin im Krankenhaus an, hat geheiratet. Seitdem haben wir sie kaum noch gesehen. Lebt immer noch da, in Chiswick. Das »w« spricht man nicht. Vier Kinder haben sie, mittlerweile auch schon alle erwachsen.
Ich hatte eine Lehre als Automechaniker gemacht und da schon das neunte Jahr bei Onkel Harry in der Werkstatt gearbeitet. Feine Sache. Ich hab mein eigenes Geld verdient, bin in die Stadt gezogen und hatte einen eigenen Wagen. Einen Ford Granada, tolles Auto. Völlig ausreichend, um die Mädels zu beeindrucken. Seit Susan weg war und ich in der Stadt, hab ich Alice kaum noch zu Gesicht bekommen. Wenn ich mal rausgefahren bin, um Mam zu besuchen, habe ich sie manchmal beim Einkaufen gesehen, meistens mit Eugene an der Hand. Also, wenn Sie mich fragen, hätten die O’Reillys ihn nicht ewig wie ein kleines Kind behandeln sollen. Hätten sie den verrückten Kerl einfach mal ein bisschen machen lassen, wäre er bestimmt viel besser zurechtgekommen.
Irgendwann meinte Mam, dass Alice jetzt einen Job als Illustratorin hätte und dass eins der Zimmer in ihrem Haus in ein Atelier umfunktioniert worden wäre. Schien mir nur vernünftig. Das Haus war riesig. Da gab es Zimmer, die seit Jahren nicht mehr benutzt worden waren.
Mam meinte auch, ich solle sie mal ausführen. Ich dachte, ich hör nicht richtig. Sie war Avenue, ich war Villas. Aber Mam meinte, es hätte nicht den Anschein, als ob jemand anders sie ausführen würde, weshalb ich ruhig mal fragen könnte. Nicht dass Mam geglaubt hätte, da könnte eine große Liebesgeschichte draus werden; eher, dass Alice sich über ein bisschen Gesellschaft freuen würde und es doch eine nette Geste wäre. Also, ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Mittlerweile war ich achtundzwanzig, und Alice nicht viel jünger. Außerdem w ar si e doch so eine Stille, dass ich kaum gewusst hätte, was ich mit ihr reden soll und ob wir überhaupt irgendwo ohne Eugene hingehen könnten. Aber Mam war nicht davon abzubringen. Vielleicht hat sie geglaubt, damit ein gutes Werk zu tun. Aber das war es nicht. Nicht für mich. Ich hab Alice schon immer gemocht.
Als ich dann zu ihr rüber bin, um zu fragen, war ich richtig nervös. Kannte ich gar nicht von mir, eigentlich komme ich in solchen Situationen prima klar. Aber obwohl ich Alice praktisch mein ganzes Leben gekannt habe, war sie mir doch irgendwie fremd. Ganz anders eben als die Mädels, die ich sonst so kannte. Keine, mit der man einfach mal so auf der Rückbank von seinem Granada rumfummeln konnte, wenn Sie wissen, was ich meine.
Sie ist selbst an die Tür gekommen, Eugene stand hinter ihr im Flur. Auf einmal wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Richtig verlegen war ich. Dann hat sie gelächelt. Für mich noch immer das schönste Lächeln der Welt. Ich hab sie gefragt, ob sie am Sonntag eine kleine Runde mit mir drehen will, raus nach Killiney, ein bisschen am Strand spazieren gehen und vielleicht einen Tee im Hotel. Sie wollte wissen, ob ich nur sie meinte oder sie und Eugene. Nur sie, hab ich gesagt. Da hat sie gegrinst und gemeint, das wäre toll, und ich hab gesagt, gut, und wir haben abgemacht, dass ich sie am Sonntag um drei abholen würde.
Am Samstag habe ich noch das Auto gewaschen und mir die Haare schneiden lassen. Werde ich nie vergessen, weil der Friseur mir ins linke Ohr geschnitten hat. Zu dem bin ich nie wieder. Mein Gott, was kam ich mir blöd vor, wie ich da neben Alice im Auto gesessen bin, Konversation gemacht habe, und die ganze Zeit diesen dämlichen Verband am Ohr. Sie trug
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