Die Suendenburg
Elicia glaubt, er wäre in der Schatzkammer aufbewahrt worden, aber ich bin mir sicher, ihn in Agapets Gemach gesehen zu haben, und zwar jedes Mal, wenn ich dort war, zuletzt wenige Tage vor der Rückkehr meines früheren Gemahls. Für mich steht fest, dass die Ungarin den Dolch entwendet hat, bevor sie ins Bad gebracht wurde.«
Ich nutzte meinen ersten Trumpf. »Du wurdest zufällig von zwei Wachleuten dabei beobachtet, wie du dich ins Bad geschlichen hast, und zwar kurz bevor Baldur und ich dort ankamen. Was, außer die Mordwaffe, kannst du dort gesucht haben?«
»Zunächst einmal – ich habe mich nicht hinein geschlichen. Ich bin die Herrin dieser Burg und habe es nicht nötig, zu schleichen.«
»Auch nicht in mein Gemach, in dem du kürzlich gesehen wurdest? Übrigens genau in dem Zeitraum, in dem der Dolch verschwand.«
»Dich habe ich besuchen wollen, um mich ein wenig mit dir zu unterhalten. Es ist viel passiert, und da dachte ich … Das Bad habe ich aufgesucht, weil dort mein Gatte gestorben ist.«
»Wenn dem so ist, wieso hast du die Vorrichtung in Gang gesetzt, um das Wasser ablaufen zu lassen? Oder leugnest du, dass du es warst?«
»Nein, keineswegs. Im Bad hat es fürchterlich nach dieser Blutbrühe gestunken. Das war ekelhaft.«
»Und warum bist du vor Baldur und mir geflohen, wenn du nichts zu verbergen hattest und von der Waffe am Grund des Beckens nichts wusstest?«
»Ist das heute eine besondere Angriffslust, die ich bei dir spüre, oder nur die übliche?«
»Bitte beantworte meine Frage.«
»Ja, ich bin tatsächlich geflohen. Als ich sah, dass ihr die Mörderin meines Gatten bei euch hattet, zog ich es vor, nicht mit euch zusammenzutreffen. Das wäre zu viel für mich gewesen.«
»Ausreden und Lügen«, rief ich und stand abrupt auf. Ich war so wütend angesichts der Komödie, welche dem Vikar vorgespielt wurde, dass ich allen Anstand vergaß. Ich ging mit großen, schnellen Schritten auf sie zu, brachte die Verblüffte dazu, aufzustehen, packte ihr weites, umständliches Gewand mit beiden Händen auf der Höhe ihres Bauches und zerriss den Stoff mit aller vom Zorn gefütterten Kraft. Ein lautes Stöhnen ging durch den Saal, die Diener schlugen das Kreuz, Aistulf sprang auf, der Vikar verschluckte sich, ein Kelch kippte um, meine Mutter erstarrte. Als sie begriff, was ich getan hatte, war es für sie schon zu spät. In zwei Fetzen hing das Gewand an ihrem Körper herunter, und darunter kam das Unterkleid zum Vorschein, das den gewölbten Bauch nur bedeckte, nicht verbarg.
Ich leugne nicht das Triumphgefühl, das mich vom Scheitel bis zur Sohle durchfloss, weil ich den dunklen Machenschaften auf dieser Burg ein Stück der Maske herunterreißen konnte.
»Da!«, rief ich. »Das ist weder ein Zwei-Wochen-Bauch noch ein Fünf-Monats-Bauch. Sie hat meinen Vater, während er auf Feldzug war, mit einem Buhlen betrogen, und dieser Buhle steht heute an ihrer Seite: Aistulf, der Verweser. Schon bald wäre dieser Betrug meinem Vater aufgefallen, und darum musste er sterben.« Ich sah meiner Mutter in die Augen. »Du hast versucht, dein Geheimnis vor uns zu verbergen, aber ich habe gute Augen, Mutter, mit denen ich in deine Kemenate gespäht habe, als du dich ausgekleidet hast. Ich denke, die Tatsachen sprechen für sich. Du bist entweder eine Mörderin oder die Frau eines Mörders. Das kannst du dir aussuchen.«
Danach, nachdem der Vikar sich aus freien Stücken zurückgezogen hatte, stritten wir erst so richtig. Es war fürchterlich. War ich zu hart zu ihr? War ich schonungslos? War das gerecht? Nur wenige Stunden nachdem wir mit eisigem Schweigen auseinandergegangen sind, weckt ein leises Stimmchen in mir Zweifel. Ich kenne es. Immer, wenn meine Mutter nicht in unmittelbarer Nähe ist, erhebt es sich und schildert mir, dass sie nicht die schlechteste Mutter ist, dass es schöne Tage mit ihr gab und dass sie nie zu streng war. Ich nehme mir dann immer wieder vor, nicht so ungestüm zu sein, doch das ist, als würde man sich vornehmen, den Durst nicht mehr zu stillen. Wenn man gerade über die Maßen getrunken hat, fällt ein solches Versprechen leicht. Sobald ich in ihre Nähe komme, wird das Stimmchen von einem gewaltigen Chor übertönt, die Hörner erschallen, mein Innerstes erbebt und das Versprechen ist vergessen. Eine kleine Geste oder ein kurzer Blick von ihr genügen, um mir all das Schlechte in Erinnerung zu rufen. Seit meines Bruders Geburt – ich war damals vier Jahre alt – kam
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