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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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zu ihm bekommen würde. Mutter und Aistulf versuchten natürlich, ihn mit kleinen Scherzen und einem großen Kelch Wein gleich zu Anfang auf ihre Seite zu ziehen, und wieder schalt ich mich selbst, dass wir einen Fehler gemacht hatten, indem wir zu spät eingetroffen waren. Vermutlich hatte meine Mutter den Vikar ein wenig vor der Zeit abholen lassen, um ihn in Ruhe umgarnen zu können. Sie waren als Grafenpaar nun einmal im Vorteil gegenüber Baldur und mir, weil sie in der Burg walten konnten, wie sie wollten, und ich sah ein, dass ich künftig mit größerem und vorausschauendem Geschick handeln musste, um mit ihnen mithalten zu können. Auf Baldur konnte ich in diesem Zusammenhang ohnehin nicht zählen.
    Ich setzte diesen Entschluss auf der Stelle in die Tat um. Obwohl mir ihre erheiterten Mienen übel aufstießen, spielte ich mit. Ich beteiligte mich an einer unbefangenen Unterhaltung über die Historie der Burg, die mich nie gefesselt hat, von der mir aber das eine oder andere aus den Erzählungen meines Vaters in Erinnerung geblieben war. Es war seltsam, wie meine Mutter und ich plötzlich so unbefangen beieinanderstanden und miteinander sprachen – wir hatten seit dem Tod meines Vaters nur kurze und eher unerfreuliche Gespräche geführt, in denen ich ihr offen meine Meinung gesagt hatte, was ich von ihrer Eheschließung und von der Okkupation hielt. Mit Aistulf hatte ich seither kein einziges Wort gewechselt.
    »Der letzte Merowingerkönig hat sich vor ungefähr zweihundert Jahren auf dieser Burg aufgehalten«, erklärte Aistulf dem Vikar, der sich für die Vergangenheit interessierte – nicht nur für die ferne Vergangenheit, wie ich hoffte. »Er versteckte sich hier. Die Karolinger, die inzwischen das Königreich an sich gerissen hatten, wollten ihn unbedingt aufspüren, da er der rechtmäßige Herrscher des Frankenreiches war, aber sie fanden ihn nicht, obwohl sie die Burg mehrmals durchsuchen ließen. Man vermutet, dass er sich als Mönch oder Diener verkleidete oder einfach gut versteckte.«
    »Was ist aus ihm geworden?«, fragte der Vikar.
    »Das weiß man nicht genau. Die Leute sagen, der Burgherr habe irgendwann den lästigen Gast loswerden wollen. Er wurde in seinem Versteck lebendig eingemauert. Seither wird die Burg Sündenburg genannt und der Hügel, auf dem sie steht, Sündenberg. So die Legende.«
    »Irgendwo gibt es eine Chronik«, sagte meine Mutter lapidar, als wollte sie das Gespräch in eine andere Richtung lenken. »In der Schatzkammer vielleicht. Ich habe sie lange nicht gesehen, gut möglich, dass sie weggekommen ist.«
    »Das wäre nichts Neues«, sagte ich und leitete vom unverfänglichen zum heiklen Teil des Gesprächs über. »Leider verschwinden von Zeit zu Zeit Gegenstände aus der Schatzkammer, so wie jener Dolch, der sogar zwei Mal verschwunden ist.«
    Der Vikar fragte: »Euer Vater kam durch einen Dolch ums Leben, nicht wahr? Ein verschwundener Dolch ist ein wichtiger Hinweis.«
    »Ich weiß.«
    »Wie konnte er zwei Mal verschwinden?«
    »Ich hatte ihn als wichtigen Beweis an mich genommen. Wichtig deshalb, weil nur mein Vater und meine Mutter einen Schlüssel zur Schatzkammer hatten.«
    »Ich verstehe.«
    Ich sah meine Mutter an, die jedoch meinem Blick auswich. »Irgendwann in den letzten drei Tagen«, sagte ich, »ist er aus meinem Gemach gestohlen worden.«
    »Das ist bedauerlich«, sagte der Vikar. »Ich hätte ihn gerne gesehen.«
    »Ich kann ihn Euch bis in die Einzelheiten hinein beschreiben.«
    Meine Mutter unterbrach uns. »Setzen wir uns zu Tisch? Ich hoffe, Vikar, dass Euch die Früchte unseres Landes munden werden.«
    Dadurch war es ihr – plump, doch immerhin – gelungen, vom Dolch abzulenken. Das Gesinde trug die Speisen auf, Bilhildis schenkte Wein nach. Meine Mutter erkundigte sich nach der Familie des Vikars, gerade so, als würde sie sie kennen und wäre die Patin, während ich meine Füße kaum stillhalten konnte. Wir erfuhren, dass Malvin von Birnau Witwer war und drei kleine Töchter hatte. Falls Mutter jedoch gehofft hatte, dass das für sie peinliche Thema nicht mehr zur Sprache kommen würde, hatte sie sich verrechnet, denn der Vikar kam schon bald wieder von sich aus darauf zu sprechen. Von diesem Moment an hatte er meine Achtung und Sympathie. Einer wie er, sagte ich mir, lässt sich keine Nase drehen.
    Ich beschrieb ihm die Waffe.
    »Meine Tochter und ich«, sagte meine Mutter, »sind uns uneinig, was den Aufbewahrungsort des Dolches angeht.

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