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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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gegenseitig aus. Wir liebten uns. Wir gehörten zusammen. Wie ich, so war auch er ein einsamer Mensch, zutiefst verschieden von den anderen Menschen der Burg, ein Gefangener seiner Fremdartigkeit, allein auf diesem Sündenberg, von Zweifeln und Fragen wie von Herbstwinden umtost.
    Er hatte sich mir gegenüber bis dahin nicht geöffnet. Er tat es in dieser Nacht. Nachdem wir uns geliebt hatten, lagen wir beieinander, verschlungen wie Wurzeln, und er erzählte mir von seiner Einsamkeit und von der Arbeit eines Vikars, der Jagd nach dem Verbrecher, die auch zu einer Jagd gegen das eigene Selbst werden kann. Wir richteten uns aneinander auf. Kein Wort mehr von unserer missglückten ersten Zweisamkeit im Weinberg, die unter den gleichzeitig wirkenden Kräften von Anziehung und Abwehr ins Wirre abgedriftet war. Kein Gedanke auch an das Kommende, an die Unmöglichkeit einer Zukunft und daran, dass nichts mehr sein würde wie vorher, für ihn nicht wie für mich nicht. Der Augenblick war unsere Welt, das Nachtlager war unsere Welt, und es war die schönste Stunde meines Lebens.
    Dann erklang das letzte Amen, und es wurde still. Malvin musste gehen. Ich bat ihn trotzdem, noch zu bleiben. Ich sagte, dass es wohl noch eine Weile dauern würde, bis Baldur aus dem Tal zurückkäme, vermutlich bis zum Morgengrauen, und dass Bilhildis genug Anstand besitzen würde, mich mit Norbert, den sie bei mir wähnte, allein zu lassen.
    Ich hatte unsere Stunde verlängern wollen. Aber das Glück lässt sich nicht verlängern, nur verhindern, ja, es scheint, als habe es seine festen Maße wie Tag, Dämmerung und Nacht, die man in gewisser Weise ignorieren, jedoch nicht herbeiführen kann. Malvin ging, und Vergangenheit und Zukunft waren wieder angekommen in meiner Kemenate, in der ich lag.
    Ich fiel in eine Art Halbschlaf. Ich wurde immer wieder wach, ja, es war, als schliefe ich für die Dauer eines Atemzugs, und dann, als erwachte ich für die Dauer eines Atemzugs, und immer so weiter. Es war äußerst wirr und irgendwie beunruhigend. Ich meinte – ohne zu erfassen, ob ich gerade wachte oder schlief – abwechselnd meine im Halbdunkel liegende Kemenate, dann Malvin und die Ungarin zu sehen. Ich erinnere mich, dass ich dachte, es habe seine Richtigkeit, zusammen in einem Traum aufzutauchen, haben wir drei doch so viel gemeinsam, wir, die wir mehr oder weniger einsam und ängstlich sind auf dieser von Winden und Tragödien umtosten Burg. Doch ich sah noch mehr. Zwischen diesen Bildern tauchte mehrmals wiederkehrend ein kleiner Raum auf. Er war rechteckig und fensterlos wie eine Gruft. Mein Vater stand darin. Er lachte, als er mich den Raum betreten sah, und zeigte auf etwas, das in der Ecke stand, wiederum etwas Rechteckiges, ich konnte aber nicht erkennen, was es war, vielleicht ein Sarkophag. Dieses Bild des mir unbekannten Raumes schien mir nicht zu den anderen Bildern zu passen, und ich wollte, dass es verschwindet.
    Irgendwann in tiefster Nacht fand ich aus meinem leichten, wirren Halbschlaf in den Zustand äußerster Wachheit zurück, weil ich meinte, das leise knarrende Geräusch der Tür gehört zu haben. Ich hob gleichgültig den Kopf, vermutete Baldur. Durch die dünne Ziegenhaut am Fenster fiel schwaches, gefiltertes Mondlicht, und ich bemerkte, dass Baldur nicht neben mir lag, also schien sich meine Annahme, das Geräusch sei von ihm verursacht worden, zu bestätigen. Ich wollte meinen Kopf bereits wieder auf das Kissen betten, als sich aus dem Dunkel der Kemenate ein Schemen langsam auf mich zubewegte.
    Es war nicht Baldurs Schemen. Ich kenne ihn, seine breiten Schultern, seinen stämmigen Körper … Nein, keinesfalls.
    Der Schemen hob den Arm, und ich erkannte den Umriss eines Dolches.
    Ich schrie. Ich kann mich nicht erinnern, jemals derart aus Leibeskräften geschrien zu haben, auch nicht, als ich Vater ermordet auffand. Die Gewalt meiner Schreie entsprach der Todesangst, die mich von einem zum anderen Augenblick gepackt hatte. Ich warf die Kissen nach der Gestalt. Ich sprang auf und verdrückte mich in den äußersten Winkel des Raumes, und die Gestalt, offensichtlich überrascht, bemerkt worden zu sein, eilte davon. Völlig entkräftet sackte ich in der Ecke zusammen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort auf dem Boden saß. Irgendwann sprang ich auf und lief geradewegs durch den Verbindungsgang in den gegenüberliegenden Flügel und zum Gemach meines Vaters. Eine schwere Kette verhinderte den Eintritt. Ich weiß nicht,

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