Die Suendenburg
besänftigen, gegen den man im Tal ankämpfte. Wenn überhaupt irgendwo anders als dort, wo ich mich verkrochen hatte, wäre mein Platz bei den Streitern am Damm gewesen.
Am Mittag vor der Messe suchte mich ein Fieber heim, wie ich es noch nie erlebt und auch bei keinem anderen je gesehen habe. Meine Körpertemperatur blieb gleich, und dennoch schüttelte mich irgendetwas, meine Hände zitterten, und der Schweiß tränkte meine Tunika. Meine Gedanken drehten sich in meinem Kopf, wie auch die Gegenstände um mich herum sich vor meinen Augen drehten. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Das Erste, woran ich mich wieder deutlich erinnere, waren die Gesänge. Sie schwappten heran, zuerst Geflüster, zärtlich und schmeichelnd, übergehend in kraftvoll anbrandende Litaneien und schließlich mündend in überbordendem Tosen, das auch noch anhielt, als ich mir die Ohren mit den Händen zuhielt. Ich fiel von meinem Lager. Voll bei Sinnen und trotzdem nicht Herr meines Handelns, taumelte ich aus dem Gemach, durch leere Gänge und vereinsamte Hallen, immer die Choräle im Ohr.
Als ich in die Nähe von Elicias Kemenate kam, hörte ich ihre Stimme. Ich hatte damit gerechnet, dass sie bei der Messe wäre. Nur deswegen hatte ich überhaupt mein Gemach verlassen, um ihr in ihrer verlassenen Kemenate ein wenig näher zu sein, ohne ihr wirklich nahe zu kommen, und vielleicht, um etwas aus ihrem Besitz an mich zu nehmen, einen Kamm oder ein Tuch. Lächerlich, gewiss. Ich bin nun einmal kein großer Eroberer, kein mutiger Held der Liebe. Meine Leidenschaft ist das Verbrechen. Meine liebe Gerda wurde mir, als ich sechzehn Jahre alt war, zugeführt, und Gott weiß, nach ihrem Tod habe ich keine andere Frau mehr zärtlich angesehen, keiner anderen Frau zärtlich gedacht. Bis dieser Tage.
Vorsichtig streckte ich meinen Kopf um die Ecke und beobachtete, wie die stumme Dienerin einen mir unbekannten, leicht bekleideten Mann in Elicias Gemach führte. Atemlos sah ich zu, wie sich die Tür hinter ihnen schloss und wie die Dienerin mit einem Lächeln auf den grauen, blutleeren Lippen dicht an mir vorbeiging. Ich stand glücklicherweise in einem dunklen Winkel hinter einer Gabelung des Gangs, sonst hätte sie mich bemerkt.
Auch nachdem sie gegangen war, rührte ich mich nicht von der Stelle. Ich konnte es nicht, eine kalte Wut machte meine Glieder steif. Oder war es Enttäuschung? Gar Schmerz? Entsteht Wut nicht aus Schmerz? Ist Schmerz nicht die Ursache allen Übels wie auch aller Seligkeit, da die Suche nach dem Guten im Leben nichts anderes ist als die Flucht vor dem Schmerz? Wie auch immer – den Rücken an die Wand gepresst, ballte ich die Fäuste und schlug sie gegen das Mauerwerk.
Ungefähr zehn Atemzüge später fand ich die Fähigkeit zur Bewegung wieder und schlich bis vor Elicias Gemach, wo ich mein Ohr an die Tür presste. Doch es war zu laut. Die Menschen in der Kapelle wiederholten viele Male NIMM HINWEG DIE SÜNDEN DER WELT. Kurz darauf bemerkte ich, wie die Tür sich langsam öffnete, und eilte auf Zehenspitzen in meinen Winkel zurück.
»Geh«, hörte ich Elicia flüstern. »Hier ist das Doppelte dessen, was dir versprochen wurde, unter der Bedingung, dass du sofort die Burg verlässt, Hochwasser hin oder her, und gleichgültig, was Bilhildis dir sagte. Lass dich nie wieder hier blicken.«
»Aber ich habe ja noch fast gar nichts getan«, sagte der Unbekannte in einem, wie ich fand, beinahe traurigen Tonfall, so wie ihn ein Gehilfe anschlagen würde, der zwar die Gesellenprüfung bestanden hatte, jedoch ohne dass man sein Gesellenstück begutachtete.
»Tu, was ich sagte. Geh.«
Er ging. Ich sah ihn in Richtung des Vorhofs verschwinden und hörte, wie sich Elicias Tür wieder schloss.
Ich kehrte zur Tür zurück, wartete eine kleine Weile ab und betätigte vorsichtig die Klinke. Die Kemenate wurde von zwei Öllampen nur wenig erhellt, ich sah Elicias Schemen auf dem Nachtlager kauern, und ihre kurzen, leisen Schluchzer drangen unmittelbar in mein Herz. Ohne zu wissen, was vor sich gegangen war, ahnte ich die Größe des Dramas.
Ich hatte das Gemach betreten und hinter mir verschlossen, ohne dass Elicia es bemerkt hatte. Ich stand mitten im Raum, nur wenige Schritte von ihr entfernt, und verharrte … ich weiß nicht mehr, wie lange … eine ganze Weile. Das Blut in meinem Körper schien schneller zu fließen, ich spürte es.
Ich machte einen Schritt vorwärts, und in diesem Moment hob Elicia ihren Kopf aus dem Kissen, in
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