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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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auch wenn ich an die Geister der Ahnen glauben würde – wieso sollte Vater mich bedrohen? Und wieso sollte ein Geist vor meinen Schreien flüchten? Das ergibt für mich keinen Sinn.
    Ich bleibe dabei. Irgendjemand, der äußerst bösartig ist, will mir und vielleicht auch Baldur ans Leben.
    Ich muss mit Malvin darüber sprechen.

Kara
    Ich blicke auf einen kalten, eisgrauen Nebel hinab. Wie eine riesige Spinnwebe aus Dampf hat er sich unterhalb der Burg bis zum Horizont über das Land gelegt. Es ist früher Morgen. Der Morgen danach.
    Der Morgen nach den Gebeten. Ich erinnere mich an die Gesänge, die an mein Ohr schwappten, als ich halb wachte und halb schlief, Gesänge wie aus einer anderen Welt, dazwischen das Murmeln monotoner Beschwörungen, die als etwas Düsteres und Drohendes in meinen friedlosen Schlaf krochen. Als die Stille einsetzte, kam auch ich zur Ruhe. Dann, irgendwann, ging die Tür auf.
    Der Morgen nach dem Knarren der Tür in der Nacht. Ich erwachte, und da stand er. Hoch ragte er vor mir auf, zunächst nur ein Umriss, ein dunkler Schatten inmitten der Dunkelheit meines Gefängnisses. Doch dann, als er sich zu mir beugte, ein Mann, jener Mann, der mich im Beisein seiner Frau und der Stummen verhört hatte: Baldur, so glaube ich, war sein Name. Im schwachen Mondlicht, das durch das winzige Fenster fiel, war sein Gesicht wie aus weißem Holz geschnitzt, hart und ohne Leben. Er packte mich an den Händen.
    Der Morgen nach dem Eindringen eines Fremden in meinen Körper. Ich schrie. Von den kahlen, beschriebenen Wänden hallte mein Schreien wider, brach sich, verreckte. Ob ich schrie oder nicht schrie, das bedeutete dasselbe, nämlich gar nichts. Den Mann störte es nicht. Er sagte kein Wort. Es war ein gewalttätiges Schweigen, grausam, gleichgültig. Er hat das nachgeholt, was sein Schwiegervater vorgehabt hatte, wozu dieser jedoch nicht mehr kam. Bevor er ging, beugte er sich ein einziges Mal zu meinem Gesicht und küsste meine Lippen, die von Tränen salzig und wund waren.
    Der Morgen nach der völligen Kraftlosigkeit. Ich konnte nur auf dem Boden sitzen, sonst gar nichts. Ich konnte nicht aufstehen. Ich konnte den Arm nicht heben. Nicht trinken. Nicht denken. Nichts fühlen, außer dem pochenden Schmerz in meinem Leib. Ich konnte nicht weinen. Mich nicht sauber halten. Ich pinkelte dorthin, wo ich saß. Ich schlief dort ein.
    Der Morgen nach einem wahren Traum.
    Ich bin siebzehn Jahre alt. Von unserer Siedlung am Großen See in jenem Land, das wir inzwischen das Land der Magyaren nennen, ziehen wir im Frühling nach Westen. Die Männer rücken zu Scharmützeln und Schlachten aus, die Frauen ziehen die Kinder groß, sie heiraten und kochen, sie bleiben außerhalb der Orte, die von den Männern erobert werden. Alles, was die Frauen wissen, ist, dass die Männer ihnen karrenweise Nahrung, Felle und nützliche Gegenstände mitbringen, wenn sie ins Lager zurückkehren. Das Gold verwahren die Männer selbst.
    Wir ziehen wochenlang durch Täler, bevor wir in hügelige Ebenen gelangen. Die eindrucksvollen Berge liegen nun zu unserer Linken im Süden. Es ist schon Spätsommer, als wir zu einem breiten Fluss kommen, an dem entlang es von Siedlungen und Städten nur so wimmelt. Die Männer machen reiche Beute.
    Eines Tages, als mein Vater und meine Brüder zusammen mit anderen Männern wieder einmal in ein Dorf reiten, um es zu plündern, reite ich heimlich hinter ihnen her. Ich treffe eine Weile nach ihnen dort ein. Ich sehe tote Leiber, vier oder fünf an der Zahl, im Dreck liegen. Und dann sehe ich meinen Vater, der im Beisein meiner Brüder und von ihnen angefeuert einer Frau Gewalt antut. Ich höre sie schreien und weinen, und ich wende mich ab und kehre ins Lager zurück. Von meiner Mutter gefragt, wo ich war, antworte ich: Ich weiß es nicht.
    Die Vergangenheit ist nicht vergangen. Kaum etwas ist gegenwärtiger als sie.
    Die Nacht liegt, da ich nun diese Worte schreibe, bereits viele Stunden zurück. Ich habe fast einen Tag gebraucht, um ein paar Sätze in die Wände zu ritzen. Manches von meinem Geschriebenen steht so weit oben, dass meine Hand gerade noch hinreicht, manches andere im letzten, untersten Winkel, manches an dieser und manches an jener Wand. Der Nebel hat sich gelichtet. Mein Blick fällt, wenn ich aus dem schmalen Fenster sehe, auf den See, der eigentlich ein Fluss ist. Ich sehe die Sonne auf dem Wasserspiegel zittern. Ein dreistimmiges Lied dringt an mein Ohr, gesungen von jungen

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