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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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wieso ich überhaupt hineinwollte. Vielleicht … Ein Rest von Todesangst war noch immer in mir, und ich wollte irgendwohin, wo ich mich beschützt fühlte. Ich rüttelte an der Kette, pochte an die Tür, und ich erinnere mich, dass ich böse auf meinen Vater war, weil er sich hatte umbringen lassen und mich schutzlos zurückließ, allen Verbrechern des Sündenberges ausgeliefert.
    Plötzlich kam meine Mutter aus der Dunkelheit.
    »Liebes, ich habe dich gehört. Was ist passiert?«
    »Da … da war jemand in meiner Kemenate … vor meinem Bett. Er trug einen Dolch bei sich. Er sah aus wie … wie …«
    »Wo ist Baldur?«, fragte sie. »Ist er etwa noch im Tal?«
    »Ich weiß nicht, wo er ist«, flüsterte ich kraftlos. Es war mir gleichgültig, wo Baldur war. Man hatte mich umbringen wollen.
    »Du hast geträumt«, sagte sie. »Ein schlimmer Albtraum war das, sonst nichts. So etwas kommt vor. Beruhige dich.«
    Sie sprach mit mir wie mit einem kleinen Kind, und für den Moment hatte ich nichts dagegen, wenngleich ich den Tonfall unangemessen fand.
    »Ich habe nicht geträumt«, sagte ich. »Da war jemand. Er trug einen Dolch bei sich. Wo ist Aistulf?«
    »Nun, wo wird er schon sein, im Tal nehme ich an, beim Damm. Es mag allerdings sein, dass er gerade den Dolch wetzt oder im Wald mit finsteren Mächten Zwiesprache hält. Manchmal verspeist er in seinem Gemach kleine Kinder. Wusstest du das nicht?«
    »Dein Sarkasmus ist unangebracht.«
    »Deine Beschuldigungen sind es auch.«
    »Man hat mich umbringen wollen.«
    »Du bist erschöpft, mein Kind. Du isst zu wenig, du siehst nicht gut aus in diesen Tagen. Neulich bist du beim Vikar zusammengebrochen. Daran müssen wir etwas ändern. Leg dich hin, leg dich in mein Bett, wenn du magst. Iss dich mal wieder satt. Ich lasse dir Hammelfleisch und Rüben bringen.«
    Als würde Hammelfleisch Meuchler fernhalten! Trotzdem hätte ich ihr Angebot beinahe angenommen, so erschreckt hatte mich das Erlebnis. Aber der Gedanke, dass sie in dem Bett, in das sie mich legen wollte, womöglich schon mit Aistulf gelegen hatte, machte mir meine eigene Kemenate wieder etwas erträglicher. Sie begleitete mich dorthin. Als wir ankamen, trafen wir auf Baldur. Er war verdreckt vom Dammbau und blickte ziemlich verwirrt drein. Meine Mutter erklärte ihm alles, wobei sie ihrer Deutung des Vorfalls den Vorrang gab. Ich ließ es geschehen, aber als sie gegangen war, sagte ich in todernstem Ton zu Baldur: »Jemand ist hier eingedrungen und wollte mich töten. Vielleicht auch dich, wer weiß.«
    »Ich glaube dir«, sagte er.
    »Wir müssen etwas unternehmen. Wieso stand keine Wache vor der Tür? Wir hatten doch nach dem Verschwinden des Dolches besprochen, dass …«
    »Ganz recht. Und ich habe alles umgesetzt. Deine eigenmächtige Dienerin Bilhildis hat den Wachmann am Abend fortgeschickt. Wegen der Messe und dem Dammbau, sagte sie ihm.«
    Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Bilhildis hatte die Messe natürlich nur als Vorwand benutzt, um die Wache zu entfernen.
    »Gut, belassen wir es dabei«, sagte ich kleinlaut. »Ich will nicht, dass du Bilhildis deswegen Vorwürfe machst.«
    »Wie könnte ich? Schon ihr bedeutender Rang als Leibeigene macht sie über jede Kritik erhaben.«
    »Mir steht der Sinn nicht nach Streit. Schlafen wir jetzt.«
    Natürlich habe ich in Betracht gezogen, geträumt zu haben. Der düstere Raum, der Mond, der wirre Halbschlaf, die seltsamen Bilder, die Nachwirkungen eines aufwühlenden, überwältigenden Abends – hat all das sich zu einem Trugbild verschworen?
    Nein. Mit aller Deutlichkeit: Nein. Die Gestalt, die ich sah, war nicht der Schatten eines Traumes, keine wabernde Fantasie.
    Ich habe auch in Betracht gezogen, einer nicht mehr menschlichen, einer dämonischen, geisterhaften Gestalt begegnet zu sein. Denn … es fällt mir schwer, das zu Papier zu bringen … die Gestalt hatte etwas an sich, das mich an Vater erinnert. Es klingt verrückt. Was mich auf diesen verrückten Gedanken brachte, ist die Form des Helms, den die schemenhafte Gestalt trug, diese spezielle Krümmung mit dem Dachshaarbüschel auf der Spitze. Einen solchen Helm hat Vater früher getragen, er nannte ihn seinen Glückshelm, weil er zwei Schwerthieben standgehalten hatte. Kein anderer Mann der Burg trug je einen solchen Helm. Inzwischen ist Vaters Helm längst außer Dienst gestellt, denn er rostete. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen und weiß nicht, ob es ihn überhaupt noch gibt. Doch

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