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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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selbstverständlich …«
    »Die Hälfte von ihnen ist alt oder schwach.«
    »Die andere Hälfte ist es nicht.«
    »Das sind viel zu wenige.«
    »Ich weiß, deswegen schicken wir unsere Männer ins Tal.«
    »Welche Männer?«
    »Wenn du solche Fragen stellst, brauchst du dich nicht zu wundern, wenn ich dich nicht ernst nehme. Ich spreche von den Waffenträgern. Viele von ihnen sind Söhne oder Brüder der Bauern.«
    »Falsch. Sie waren Söhne und Brüder von Bauern. Jetzt sind sie Kämpfer. Wir haben sie rekrutiert, damit sie Burg und Land vor unseren Feinden verteidigen, nicht damit sie Dämme bauen.«
    »Du bist also der Meinung, sie stehen lieber auf der Burgmauer und sehen dabei zu, wie ihre Mütter ersaufen?«
    »Die meisten Mütter sind längst im Wald in Sicherheit gebracht worden.«
    »Das ist auch so eine Sache. Ich will nicht, dass die Leute wie Gesindel im Wald hausen. Sie sollen in der Vorburg untergebracht werden.«
    »Mach, was du willst. Aber die Waffenträger unterstehen meiner Verantwortung. Ich sage es noch einmal: Diese Männer sind Kämpfer, Mann gegen Mann.«
    »Von nun an Mann gegen Flut. Die Flut ist ein Feind, gegen den es anzukämpfen gilt wie gegen einen Krieger.«
    »Graf Agapet hat niemals Waffenträger, die ihm ruhmreich in die Schlacht gefolgt sind, wegen einigen Strohhütten tagelang in der Erde wühlen lassen.«
    »Dass mein Vorgänger anderer Meinung war, ist bedauerlich.«
    »Ich werde stolze, kriegserprobte Männer nicht ins Tal schicken, um gegen Wasser zu kämpfen.«
    »Das musst du auch nicht, weil ich sie ins Tal schicken werde, und dich und mich dazu.«
    Ich möchte das, was ich nun schreiben werde, nicht glauben, aber es ist nur die Dokumentation schändlicher Wahrheit: Es fiel mir schwer, am Elend all der Menschen im Tal teilzuhaben. Von der Burgmauer aus sah ich die Zerstörung, die vorübertreibenden Strohdächer, die ersoffenen Viecher, die umgerissenen Bäume, die Giebel der Scheunen, ich sah Wasser, wo zuvor Felder gewesen waren, und ich sah das Gesinde und die Waffenträger teils mutig und teils ängstlich den Berg hinunterziehen, um den Kampf gegen die Gewalten aufzunehmen. Aber all das hatte etwas Fernes und Unwirkliches. Häuser waren Spielzeug, Menschen Ameisen. Seit meiner Ankunft hatte ich den Burghügel nicht verlassen und nahm langsam und wie selbstverständlich eine alles überragende Perspektive ein, so als lese ich eine Geschichte. Ich fühlte mich allein, als ein durch Rang und Aufgabe entrücktes Wesen, ohne menschlichen Kontakt, der jenseits meiner Mission lag. Ich hörte das Blut in meinen Adern rauschen, nicht aber die Flut im Tal, und ich gestehe, ich hörte stärker den Jammer meines entflammten Herzens als das Jammern der Flüchtlinge im Vorhof. Mit einiger Anstrengung gelang es mir, meinen Aufgaben nachzugehen, doch was über allem lag und alles durchdrang, war Elicia. Sie war überall anwesend. Kein Gespräch, kein Gedanke und kein Gebet, ohne dass ich dachte: Elicia. Sie war der Nebel, durch den sich Mitleid, Scharfsinn und Pflichtbewusstsein hindurchzukämpfen hatten, um noch zu mir vorzudringen.
    Solange eine helle Sonne am Himmel stand, war der Zustand, in dem ich mich befand, noch einigermaßen erträglich. Doch der Himmel wurde grau und hing tief, während der Fluss zum gurgelnden Meer anwuchs. Mir zog sich mit jedem Tag ein wenig mehr die Kehle zusammen, ganz so, als würde der Raum um mich immer kleiner. Nachts wachte ich regelmäßig von einer solchen, im wahrsten Sinn des Wortes bedrückenden Vorstellung auf. Bald fühlte ich mich krank, ohne äußere Merkmale einer Krankheit zu haben, vergleichbar mit den Berichten von Aussätzigen, welche den Befall spüren, noch bevor er in Erscheinung tritt. Eine ganze Woche lang zog ich mich – unter dem lächerlichen Vorwand, die gesammelten Hinweise eingehend prüfen zu müssen – von meinen Ermittlungen zurück und gab meinem Schreiber frei. Ich betete. Ich fastete. Ich ließ keinen Menschen zu mir vor, denn jede menschliche Gegenwart wäre mir zuwider gewesen. Kaltes Wasser und warme Brühe waren alles, was ich mir aus der Küche bringen ließ. Von den Vorgängen außerhalb meines Gemachs erfuhr ich nichts, bis mir am siebten Tag ein von der Gräfin geschickter Diener mitteilte, dass man am Abend eine Messe lesen lasse, weil sich nun entscheiden würde, ob der Damm der Flut standhalten würde. Ich ließ mich entschuldigen. In der Kapelle war nicht mein Platz. Dort versuchte man Gott zu

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