Die Suendenburg
das sie geweint hatte. Sie wandte mir ihr Gesicht zu, wie sie es in meinen Hoffnungen, die ich vor mir selbst zu verbergen versucht hatte, schon tausendmal getan hatte. Mit einem Erstaunen und einem Geheimnis, wie Eva es vor Adam gehabt haben mochte, trat sie mir entgegen.
Elicia
Ich habe nicht bei ihm gelegen, diesem fremden jungen Mann, von dem ich nichts anderes wusste, als dass er der Vater meines Kindes werden sollte. Ich fürchtete mich nicht vor ihm, in keinster Weise, ich bin keine scheue Jungfrau. Ich habe im Alter von fünfzehn Jahren die Stallburschen im Heu schlafen sehen, habe sie eingehend betrachtet und mich später mit einem von ihnen amüsiert, ohne allerdings zu weit zu gehen. Die erregende Nähe fremder Männer beunruhigt mich nicht, und ich habe mich vor Bilhildis, als sie diesen Vorschlag machte, nur deshalb erschreckt gegeben, weil sie nicht alles wissen muss. Sie meint es gut, und sie weiß viel, wirklich viel, aber einiges wird sie nie erfahren.
Er zeigte mir seinen Körper. Er war der schönste Mann der Welt, aber er war mir gleichgültig. Also hätte ich es geschehen lassen können. Es wäre eine Sünde gewesen, das Sakrament zu brechen, und ich hätte schwer daran getragen, aber das hätte es nicht verhindert, denn die großen Dinge im Leben lassen sich nicht mit der Angst vor Strafe im Jenseits verhindern. Mit dieser Angst kann man vielleicht Diebstahl unterbinden und manchmal – nur manchmal – auch die kleinen schmutzigen Sehnsüchte, die wie Flechten auf unseren Herzen wachsen, wie die Gier nach dem Körper der Nachbarsfrau und die Missgunst über das Glück der Konkurrenten. Aber die grundlegenden Sehnsüchte sind zu stark: der Wunsch nach menschlicher Wärme im Leben, der Wunsch nach Liebe, der Wunsch nach einer Bestimmung, die Notwendigkeit, zu essen und zu trinken … Ein Dürstender hätte sich nach einem Marsch durch die Wüste zu keiner Zeit von keinem Gott verbieten lassen, zu trinken. Nicht weniger dürste ich, mein Leben mit einem Sinn zu füllen. Ich bin nicht bloß meines Gatten Weib, meines Gottes Mensch, ich will selbst zur Schöpferin werden, zur Mutter und zur Herrin meines Lebens, und sei es um den Preis einer Sünde. Die sakralen Choräle aus der Kapelle hätten mich nicht davon abhalten können, die Ehe zu brechen.
Jedoch als der fremde junge Mann mich küsste, zum Lager drängte und zur Tat schreiten wollte, schrie etwas in mir auf. Nein, nicht der Gedanke an Baldur, nicht der Ruf des Gewissens, denn ich hatte nicht das Gefühl, Baldur zu betrügen. Ich hatte das Gefühl, Malvin zu betrügen.
Ich habe mir etwas vorgemacht. Mich stachelt nicht nur der Wille auf, den Tod meines Vaters aufzuklären, mich reizt nicht nur der Wunsch, Aistulf überführt zu wissen. Ich habe Malvins Nähe auch um seiner selbst willen gesucht, weil sein Anblick mir wichtig war. Ich bin mit ihm Seite an Seite durch die Weinberge gegangen, weil ich seine Stimme und Worte hören wollte.
Das, was in mir aufschrie, als der schöne Fremde mich zu verführen versuchte, war die Liebe. Ihre Stimme war sogar lauter als die Rufe nach einem Kind in meinem Leben. Was wäre das für eine Liebe gewesen, die ich zu überhören versucht hätte, und was wäre ich für eine Frau gewesen, wenn ich nicht zu lieben versucht hätte? Durfte ich mir den einen Wunsch erfüllen und dabei den anderen schimpflich hintergehen?
Nein.
So sah und hörte ich mich den Fremden fortschicken, ganz so, als stünde ich neben mir, zugleich beeindruckt und betroffen von meiner Entschlossenheit. Ich war wieder allein. Allein in meiner Kemenate, allein in meinem Leben. Vater war tot, Baldur war ein Tropf, Malvin war unerreichbar. Ich saß in einem schummrigen Dämmerlicht, spielte mit der Holzperlenkette, die mir mein Vater zum siebten Geburtstag geschenkt hatte, und ergab mich in mein Elend.
Wir suchen Gott immer in der Moral. Aber wer sagt, dass das Schöne nicht auch in der Unmoral, das Göttliche nicht auch im Verbotenen, das Gute nicht auch im Halbdunkel zu finden ist? Als Malvin plötzlich zu mir kam, eine Silhouette wie aus einem Traum kommend, war das ein Wunder. Dass Menschen einander zutiefst begehren, ist so alt wie die Welt und unfasslich immer aufs Neue. Welcher Bund darf sich stärker nennen als der der Liebe?
Ich ging auf Malvin zu und berührte ihn. Er war da. Er war kein Traum. Von da an wusste ich, dass nichts mehr zwischen uns stand und dass Unerreichbarkeit kein Begriff für uns war. Wir zogen uns
Weitere Kostenlose Bücher