Die Suendenburg
Frauen: Es ist ein Gesetz, dass der Strom des Bluts Blut wieder verlangt. Es fordert Unheil, das neues Unheil gebiert.
Protokoll eines Verhörs unter Ausschluss von peinlichen Befragungsmitteln
Befragte: Claire von Langres, Gräfin von Breisach, Witwe des Ermordeten
Anwesend: Malvin von Birnau, Vikar; Bernhard vom Teich, Gerichtsschreiber
MvB: Wie lange wart Ihr mit Agapet verheiratet?
CvL: Sechsundzwanzig Jahre, zwei Monate und vier Tage.
MvB: Unter welchen Umständen habt Ihr Agapet kennengelernt?
CvL: Es herrschte Krieg zwischen Westfranken und Ostfranken. Unsere Heirat half, einen Frieden zu besiegeln.
MvB: Habt Ihr es je bedauert, ihn geheiratet zu haben?
CvL: Das ist eine sehr dreiste Frage, Vikar.
MvB: Mord ist ein sehr dreistes Verbrechen, Gräfin. Vor Eurer Heirat war Agapet Euer Feind, nicht wahr?
CvL: Gewissermaßen.
MvB: Vor der Ehe Feind und in der Ehe Freund? Wie geht das?
CvL: Wenn es umgekehrt geht, wieso nicht auch so?
MvB: Das ist eine gute Antwort. Eure Tochter hat die Schlagfertigkeit von Euch geerbt.
CvL: Sie würde es empört zurückweisen, irgendetwas mit mir gemeinsam zu haben. Was Agapet angeht … Er war der Vater meiner Kinder, und als solchen habe ich ihn geachtet, wie es ihm zukam.
MvB: Auch wenn er sich eine ungarische Schönheit auf den Schoß setzte?
CvL: Es ist das Los der Frauen, über die Schwächen und Sünden der Männer hinwegzusehen. Man kann lange darüber klagen, doch es hilft nichts.
MvB: Wie ich erfahren habe, hattet Ihr einen Sohn, der während seiner Ausbildung zum Krieger von Ungarn überfallen, verschleppt und vermutlich getötet wurde. Man könnte also sagen, er fiel dem Krieg zum Opfer, einem Krieg, den Agapet mit großer Beharrlichkeit verfolgte.
CvL: Ist das eine Frage?
MvB: Ich finde den Zufall bemerkenswert: Der Mann, der Euren Sohn zur Waffe zwang, wird im Bad ermordet, und die Tochter jenes Volkes, das Euren Sohn verschleppte, soll nach Eurem Willen für den Mord im Bad sühnen. Das sieht wie eine äußerst schlaue Vergeltung aus.
CvL: Agapet ist seiner Verblendung zum Opfer gefallen. Er glaubte, den Feind zähmen und beugen zu können. Er irrte sich gewaltig.
MvB: Sprecht Ihr von Euch?
CvL: Von der Ungarin. Sie hatte sich nur verteidigen wollen. Sie hatte nur die Wahl, sich entehren zu lassen oder sich ihres Peinigers zu entledigen. Sie tut mir leid. Ich schließe sie jeden Tag in meine Gebete ein. Dennoch … In einem Bußverfahren würden Aistulf und ich uns eine Strafe ausdenken, die wir für angemessen halten.
MvB: Falls ich ein Bußverfahren einleite, würde es tatsächlich Eurer Familie obliegen, die Buße zu bestimmen. Ich könnte jedoch auch ein Racheverfahren einleiten, dann obliegt es mir und den Schöffen. Aber so weit sind wir noch lange nicht, Gräfin. Ist es Euch nicht merkwürdig vorgekommen, dass die Ungarin schrie, nachdem sie die Tat begangen hatte? Üblicherweise ist ein solches Verhalten entweder Ausdruck des Entsetzens oder das Verlangen nach Hilfe.
CvL: Von Schreien weiß ich nichts.
MvB: Ihr habt nicht gehört, dass die Ungarin in der Nacht von Agapets Tod schrie? Wo habt Ihr Euch zu dieser Zeit aufgehalten?
CvL: Ich war in meinem Gemach.
MvB: Das ist nur wenige Schritte von Agapets Gemach entfernt, in dem wir uns im Moment befinden. Habt Ihr geschlafen?
CvL: Nein, ich war wach. Ich konnte wegen des Lärms im Burghof nicht einschlafen. Die Männer waren zu laut. Es mag sein, dass ich einen Aufschrei gehört habe, aber wenn es so war, habe ich ihn dem Gelage zugeschrieben. Die leibeigenen Frauen, die die Männer bedienen, werden bei solchen Gelegenheiten oft unschicklich angefasst. Im Übrigen, Vikar, würde ich ebenfalls entsetzt schreien und so tun, als habe ich eine Leiche gefunden, wenn ich eine Ungarin wäre, die einen Mann erdolcht hat und nicht gehenkt werden will.
MvB: Ich möchte auf den Dolch zu sprechen kommen. Wieso erhielt Agapet solche wertvollen Geschenke vom König? Kannten sie sich?
CvL: Nein, soviel ich weiß, sind sie sich nie begegnet. Ich weiß nichts über den Grund des Geschenks. Agapet hat nie mit mir über die Angelegenheiten der Grafschaft oder seines Amtes gesprochen. Ich habe nur mitbekommen, dass ein königlicher Bote das Geschenk überbrachte. Als ich Agapet fragte, was es damit auf sich habe, erwiderte er, das gehe mich nichts an. Danach war in meinem Beisein nie wieder die Rede davon.
MvB: Von einer schriftlichen Botschaft, die dem Geschenk beigefügt war, wisst Ihr
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