Die Suendenburg
Spott und eine boshafte Lust des Schicksals, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Tochter mir abhandenkommt und sich im gegenüberliegenden Flügel der Burg verschanzt, der allzu lange entbehrte Sohn zurückkehrt, jener Junge, auf den Elicia stets ein wenig eifersüchtig war. Gewiss ist Orendel eine der Ursachen der Entfremdung zwischen Elicia und mir. Orendel, ein zunächst kränkliches Kind, erforderte den Großteil meiner Sorge, und später, als er mit fünf, sechs Jahren die körperlichen Schwächen überwunden hatte, wurde er durch seine Verse und Lieder zum Liebling der Burg (was Agapet missfiel, da Männer, auch wenn sie erst zwölf sind, in seinen Augen nicht beliebt, sondern gefürchtet sein müssen). Als Orendel fort war, war seine Abwesenheit wie ein Schleier, durch den hindurch ich auf die getrübte Welt blickte, und wieder stand nicht Elicia, sondern Orendel im Fokus meiner Gedanken. Kinder spüren so etwas. Elicia hat sich nie bei mir darüber beklagt, und ich habe auch von niemandem gehört, dass sie sich bei anderen darüber beklagte – auch bei Agapet nicht –, doch ich fürchte, dass sie tief in sich die Gewissheit vergraben hat, für allezeit in der zweiten Reihe zu stehen. Daher ist es besonders tragisch, dass dies nun wieder einmal zuzutreffen scheint. Ich habe wirklich versucht, mich Elicias und Baldurs Streit mit Aistulf zu widmen, doch angesichts der von mir sehnlich erwarteten Rückkehr Orendels verblasste alles andere zu törichtem Spuk. Ein Fackelzeichen meines Sohnes bei Nacht genügte, um das Zerwürfnis mit Elicia mehr als auszugleichen. Ich brauche die Liebe in meinem Leben, aber ich habe nicht mehr die Kraft, ihr hinterherzulaufen. Ich bin darauf angewiesen, dass sie zu mir kommt, um meine Liebe zu empfangen, so wie Aistulfs Liebe es getan hat, so wie die Liebe des Kindes, das ich in mir trage, es jeden Tag tut, und so wie Orendels Liebe es bald tun wird. Das mag Elicia gegenüber grausam sein. Aber wenn es doch wahr ist!
Das Symbol meiner Verbindung zu Elicia war stets, dass ich in ihren Augen meine Mutterschaft erkennen konnte, nicht anhand irgendwelcher Ähnlichkeiten, sondern allein durch die Art, wie sie mich ansah. In diesen Augen lag – sogar im Streit – immer auch eine Ahnung von Liebe. Als Elicia mir jedoch nach dem Streit in der Halle diesen bösesten aller Blicke zuwarf, zerbrach etwas in mir, ein Teil meiner Mutterschaft. Sie ist nach wie vor mein Kind, ich wünsche ihr nur das Allerbeste. Ich habe sie immer beschützt, so gut ich konnte, und ich beschütze sie weiterhin, so gut ich kann. Doch ich will Aistulf, den besten aller Männer, nicht für sie opfern.
Und was, wenn sie mich zu wählen zwingt? Es würde der schrecklichste Tag auf Erden werden.
Elicia
Mir zu sagen, es sei meine Mutter, sie habe mich geboren, man müsste sich doch irgendwie wieder zusammenfinden können, das ist, wie von einer Erwachsenen zu verlangen, in den Schoß zurückzukriechen. Ich bin nicht mehr ihr Kind, nicht in dem Sinn jedenfalls, dass sie nach Belieben Honig geben und Strafe verhängen kann. Nun gut, es ist ihr neuer Mann, der das tut, aber sie steht daneben und sagt kein Wort. Ihr ganzes Wesen ist voller Liebe für Aistulf, sie hat sich regelrecht besoffen an dieser Liebe, und nun ist ihr Blick auf das Geschehen um sie herum verzerrt. Ihre Handlungen und Unterlassungen sind von Sinnestrübung bestimmt, allerdings bei gleichzeitiger Lust an der Wahrheit. Ja, ich glaube tatsächlich, dass die Frau, die sich meine Mutter nennt, auszuleben beginnt, was sie all die Jahre in sich verschlossen hielt. Dazu gehört, ihrem Geliebten die Welt zu Füßen zu legen, und dazu gehört genauso, mich beiseitezudrängen. Vielleicht ist sie sich darüber nicht im Klaren: Ich stand ihr stets im Weg. Ich war die erste Frucht einer Verbindung, die sie jeden Tag aufs Neue bereute, und vielleicht hatte sie in den ersten Jahren der Ehe mit Vater die heimliche, sogar vor sich selbst verborgene Hoffnung, ich möge plötzlich sterben, sodass Gott selbst sein gleichlautendes Urteil über die glücklose Ehe gesprochen haben würde. Sie wollte immer schon einer Meinung mit Gott sein. Und sie wollte glücklich sein. Beides macht aus Menschen Tyrannen.
Daher ist es wohlfeil, mich zur Versöhnung zu drängen. Meine drei F waren die Ersten, die nach dem großen Zerwürfnis zu mir kamen. Sie gebärdeten sich gleichermaßen als Klageweiber und Prophetinnen. Zuerst bejammerten sie die zerbrochene Beziehung
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