Die Suendenburg
schon sehen.«
»Das klingt wie eine Drohung.«
»Jetzt ist es an mir, um Entschuldigung zu bitten: Es sollte nicht wie eine Drohung klingen – es sollte eine Drohung sein.«
»Dann lässt du mir keine Wahl. Ich entlasse dich hiermit als Hauptmann der Wache und entziehe dir jegliches Kommando. Als Familienmitglied bleibt es dir selbstverständlich gestattet, weiter auf der Burg zu leben, aber du wirst kein Salär mehr erhalten. Die Besprechung ist für dich beendet. Guten Tag, Baldur.«
Nach diesem Eklat war nichts mehr wie vorher. Baldur ging, nach einem Augenblick der Verblüffung, wütend von dannen, und obwohl Aistulf ausdrücklich nicht Elicia angesprochen hatte, entschloss sie sich dazu, sich angesprochen zu fühlen, und verließ ebenfalls die Halle. Der Medusenblick, den sie mir dabei zuwarf, ließ mein Blut für eine Weile gefrieren.
Was in den nächsten zwei Tagen passierte, hatten wohl weder Aistulf noch ich vorausgesehen, nein, noch nicht einmal für möglich gehalten. Baldur propagierte in der Burg gegen Aistulf, nannte ihn einen Usurpator, einen des schlimmsten Verbrechens Verdächtigen, einen Heidenfreund. Er versuchte, die Leute aufzuwiegeln und auf seine Seite zu ziehen. Er ging auf die Burgmauern, in die Küche, in die Schlafsäle der Waffenträger, und es würde mich nicht überraschen, wenn er in der Latrine auf jene eingeredet hätte, die ihre Notdurft dort verrichten. Daran gemessen, mit welcher Wucht er versucht hat, Aistulf schlechtzumachen, war sein Erfolg bescheiden: Es stellten sich zwölf von vierzig Waffenträgern hinter ihn, das Gesinde hielt sich heraus. Doch Zahlen sind hier kein guter Maßstab. Die Stimmung in der Burg ist vergiftet, und meine Tochter hat sich an einen Ort begeben, an dem ich sie nicht mehr erreiche, an den Ort der Unversöhnlichkeit. Ich weiß nicht, inwieweit das, was Baldur tut, ihre Billigung findet, ich weiß nur, dass ich seit Tagen versuche, mit Elicia ins Gespräch zu kommen, doch sie weist mich immer wieder an ihrer Tür ab, als wäre ich eine lästige Bettlerin. Und ich – ich bin nicht willens genug, mich nicht abweisen zu lassen. Ja, ich lasse mich widerstandslos fortschicken, und es regt mich kaum auf. Ich kann nicht genau sagen, warum. Gewiss gäbe es Gründe, viele sogar.
Ein Grund könnte sein, dass ich immer schon versucht habe, allem, was geschieht, Verständnis entgegenzubringen, auch und gerade, wenn es sich gegen mich oder meine Interessen richtet. Man kann nicht gut mit mir streiten, darüber haben sich vor dreißig Jahren schon meine Geschwister beklagt. Elicia verabscheut Aistulf, den Mann, den ich liebe. Und wenn schon. Ich wiederum kann Baldur nicht leiden. Er hat alle Fehler Agapets, ohne dessen wenige Vorzüge zu haben. (Deshalb glaube ich Baldur, wenn er sagt, dass Agapet ihn an Sohnes statt annehmen wollte; Agapet hat in ihm jemanden von seinem Schlag gesehen, der ihm dennoch nicht das Wasser reichen konnte. Väter sind eitel. Sie sagen immer, dass ihre Söhne so werden sollen wie sie, und das meinen sie auch – insgeheim hoffen sie aber, dass die Söhne nicht genauso stark werden wie sie, und schon gar nicht stärker. So jemanden hat Agapet in Baldur gesehen.) Wenn Elicia also unbedingt darauf besteht, in Aistulf einen grässlichen Menschen zu sehen, kann ich das in Kauf nehmen, und dass sie gerne Gräfin werden möchte, finde ich verständlich. Habe ich nicht immer schon Elicias Launen erduldet, ihre Eigenheiten einschließlich der Anbetung ihres Vaters verziehen? Habe ich nicht immer schon fast widerspruchslos hingenommen, dass Elicia – wie sage ich es? – lieber in Vorstellungswelten lebte als in der Welt, die sie morgens beim Aufwachen vorfand? Habe ich je etwas dagegen unternommen? Habe ich um Elicia gefochten? Nein, ich dachte immer, das gibt sich schon, irgendwann werden wir uns sehr nahe sein, wir werden einander mögen und beste Mutter und beste Tochter sein, der Tag wird kommen. Er ist nie gekommen. Er ist ferner denn je. Es gibt ihn vermutlich gar nicht, so wie es das Elysium nicht gibt. Insofern habe auch ich in einer Vorstellungswelt gelebt, und nun merke ich, dass es zu spät ist und dass ein Gutteil Schuld daran auf meinen Schultern liegt. Vielleicht ist das der Grund meiner heutigen Zaghaftigkeit, wenn es darum geht, Elicia davon zu überzeugen, dass ich weniger schlimm bin, als sie denkt: dass ich sie nur allzu gut verstehe und dass nicht alles falsch ist, was sie mir vorwirft.
So gesehen ist es ein bitterer
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