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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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überzeugt ist. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was das, was derzeit in mir heranwächst, aus Malvin, Baldur und mir machen wird. Mein Glück könnte nicht größer sein und meine Verwirrung auch nicht. Ich weiß, ich muss vorsichtig sein. Zugleich möchte ich mich Malvin in die Arme werfen – im Angesicht der Welt. Es ist die Eigenart jeder Liebe, bis zum Letzten um ihr Überleben zu kämpfen, mit allen Mitteln.

Malvin
    Elicia führte mich zu einem Geheimgemach. Sie machte es, dem Anlass entsprechend, spannend, indem sie mir vorher nicht sagte, wo dieses fragliche Gemach lag. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, machte ihr der kleine Ausflug in die Eingeweide der Burg großen Spaß, so als sei es ein Spiel. Natürlich war ich klug genug, um zu wissen, dass Elicia klug genug war, um zu wissen, dass dies alles andere als ein Spiel war und dass sie dabei war, mir einen – vielleicht den entscheidenden – Hinweis zur Aufklärung des Mordes an ihrem Vater zu liefern. Daher nahm ich ihr die kindliche Unbefangenheit, die sie an den Tag legte, nur zum Teil ab.
    Zunächst betraten wir Agapets Gemach. Ich war oft in diesem Gemach gewesen, immer auf der Suche nach Agapets Korrespondenz oder irgendetwas Verdächtigem, und ich bin auch mehrmals von dort nach nebenan in den Vorraum zum Bad und ins Bad gegangen, wo ich den Ort des Verbrechens genau untersuchte. Und doch war ich jedes Mal an jenem Einstieg vorbeigegangen, der einen Teil des Rätsels löste. Als Elicia im Vorraum eine der beiden Truhen öffnete, mich vielsagend ansah und schließlich aufforderte, einen Blick hineinzuwerfen, dachte ich, jetzt habe sie den Verstand verloren. Denn da war nichts zu sehen, nichts als eine leere Truhe, die wenig größer als ein Kindersarg war.
    »Was soll das?«, fragte ich verunsichert lachend. »Machst du dich über meine Arbeit lustig?«
    Sie zeigte eine lustvolle Verschwörermiene, beugte sich über die Truhe und drückte mit beiden Händen auf deren Boden, was, gelinde gesagt, wirklich nicht ganz normal aussah. Doch dann klappte der Boden nach unten auf, und es stellte sich heraus, dass der Truhenboden die Tür zu einer dunklen Welt war. Eine Leiter führte nach unten. Nach einem bewundernden Nicken zu meiner Geliebten sowie deren damenhafter Verbeugung ging ich mit einer Fackel voraus. Elicia folgte mir.
    Man konnte sich nicht verlaufen. Vom Fuß der Leiter führte ein einziger Weg weiter, der Gang war schmal und nicht höher als ein halbwüchsiger Knabe. Die bedrückende Enge war nur deshalb erträglich, weil der Gang lediglich zehn Schritte lang war. Als sich eine Tür vor mir auftat, war das in mehrfacher Hinsicht wie eine Verheißung für mich. Ich sehnte mich danach, mich aufzurichten und tief durchzuatmen, und ich sehnte mich nach der Antwort auf viele Fragen.
    Ich wurde nicht enttäuscht. Hinter der Tür, die sich auf einen Stoß hin lautlos öffnete, tat sich ein in Dunkelheit liegendes Gemach vor mir auf. Es war ungefähr vier mal fünf Schritte groß, ohne Fenster. Die Frischluft kam durch drei faustgroße Löcher im Mauerwerk, die – wie ich nach einem Blick feststellte – schätzungsweise zwei Armeslängen lang waren und ins Freie führten. Im Geiste rekonstruierte ich rasch die Lage des Gemachs. Es musste unterhalb des Bades, also an der nördlichen Außenmauer liegen, die mit dem Fels abschließt und steil und tief ins Tal abfällt.
    Die Ausstattung war karg. Ein Drittel des Geheimgemachs wurde vom Schlaflager eingenommen: fünfzehn oder gar an die zwanzig weiche Felle von Bären und Wisenten übereinandergestapelt, Entenfederkissen und Schafwollwebdecken. Gleich daneben ein kleiner Kamin mit Rauchabzug, auf dem Boden Ziegenhäute, Kaninchenfelle und Stroh. An der Wand die Halterungen für zwei Fackeln. In der Ecke ein kleiner Tisch, zwei Schemel. Auf dem Tisch eine Karaffe, darin altes Bier, daneben zwei Tonbecher, drei Öllampen, ein alter, rostiger Helm und eine recht große Holzschatulle, grobes Schnitzwerk, nicht kostbar. Darin Korrespondenz …
    Endlich, endlich war ich einen Schritt weitergekommen, und zwar einen großen. Das spürte ich, das ahnte ich. Ohne eine einzige Zeile der Korrespondenz gelesen zu haben, war mir klar, dass ich darin etwas entdecken würde, das wichtig für meine Arbeit war. Dieses Gemach war der Durchbruch.
    Ich wandte mich zu Elicia, um ihr zu danken – und da erst bemerkte ich, dass sie zusammengesunken war und luftknapp auf dem Boden saß.
    »Allmächtiger Gott«, rief ich.

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