Die Suendenburg
das wird früher oder später passieren. Da muss ich mir, was Raimund angeht, noch etwas ausdenken. Von ihm jedenfalls lasse ich mir meine Rache nicht kaputtmachen.)
Wir brachten Orendel also in dem verlassenen Gehöft unter, das ziemlich heruntergekommen ist, jedoch eine nutzbare Kemenate mit zwei Kaminen hat, zwischen denen es sich aushalten lässt. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich nach Einbruch der Dunkelheit auf der Burgmauer stehen und eine Fackel schwenken werde, dass er entsprechend antworten solle und dass wir dies zum Zeichen, dass wir aneinander denken, jeden Abend wiederholen wollen. Er war sofort einverstanden. Was auch sonst? Solcher Unfug passiert in seinen Versen andauernd.
»Werde ich bald meine Schwester treffen?«
Ich nickte. Es galt, ihn hinzuhalten.
»Und was meinst du, wie soll es mit mir weitergehen?«
Ich deutete ihm an, dass Elicia sich gewiss für ihn verwenden und seine Einsetzung als Graf verlangen würde.
»Ich glaube, ich möchte nicht Graf werden.«
Und wenn er damit seine Schwester retten könnte, die unter dem Joch des Stiefvaters zu leiden hatte?
»Nun, dann vielleicht schon – für eine Weile.«
Damit habe ich erst einmal Zeit gewonnen, die ich brauche, um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Vor einer Stunde, bevor ich dies geschrieben habe, ging ich mit der Gräfin auf die Burgmauer und reichte ihr eine Fackel. Sie schwenkte die Fackel, und siehe da, als wäre ein Stern im fernen Tal aufgegangen, sahen wir ungefähr dort, wo das Gehöft lag, einen hellen Lichtpunkt in der Dunkelheit, so weit entfernt, dass man kaum seine Bewegung bemerkte. Die Gräfin geriet völlig außer sich vor Freude, und ich stand nebendran und versuchte angestrengt, mir das Grinsen zu verkneifen.
»Bilhildis, da ist er, siehst du? Bilhildis, das ist … nach all den Jahren … ein Zeichen. Es gibt Orendels Briefe, aber … zu wissen, dass dieser Lichtpunkt mein Junge ist und dass es ihm gut geht, dass er mich erwartet, wie ich ihn erwarte … Oh, Bilhildis, ich komme dir sicher albern vor. Oder nicht? Du weißt, wie es ist, an ein fernes Kind zu denken, deine Söhne waren allesamt in der Fremde, im Krieg. Eine Mutter fragt immerzu: Gibt es irgendetwas, das ich hätte tun können, damit das Kind in meiner Nähe wäre statt an Orten, die ich nie gesehen habe? Und bedenke, ich habe tausendmal mehr Grund, mich von dieser Frage quälen zu lassen, da ich es damals war, die Orendel in dieses Abenteuer geschickt hat … Sieh nur, jetzt hat das Licht sich deutlich bewegt. Er schwenkt die Fackel so wie ich.«
Es war erstaunlich, wie lange die Gräfin sich der Tätigkeit des Fackelschwenkens hingab. Es ist ja nicht so, dass Wörter oder Sätze damit ausgetauscht wurden, und nach einer Weile des Schwenkens hätte die Gräfin es gut sein lassen können. Aber nein, sie hätte vermutlich bis Sonnenaufgang dort auf der Burgmauer gestanden, fackelschwenkend, eine Idiotin der Nacht, wenn ich nicht zu bedenken gegeben hätte, dass der Junge seinen Schlaf brauche.
»Du hast recht«, sagte sie mild lächelnd und fügte nach einer Weile, in der sie mich eingehend betrachtete, hinzu: »Wie gut dein Einfluss ist, Bilhildis, und das seit so vielen Jahren. Ich denke, es ist an der Zeit, dass du und dein Mann Raimund aus der Leibeigenschaft befreit werdet. Mit Agapet war über so etwas grundsätzlich nicht zu sprechen, aber Aistulf denkt anders darüber. Verlass dich auf mich, du wirst bald etwas zurückbekommen von dem, was du uns in all den Jahren gegeben hast.«
Zu spät, dachte ich. Zu wenig und zu spät.
Claire
Ich habe nie gewollt, dass es zum Zerwürfnis kommt. Aber vielleicht habe ich es in Kauf genommen.
Es begann mit einer weiteren Zusammenkunft in der großen Halle, die zwar unsinnig groß ist, um dort eine Besprechung zu fünft abzuhalten (zudem auch viel zu kalt), aber von Baldur anscheinend für so etwas wie neutraler und rechtsfreier Boden gehalten wird, auf dem er sich gebärden darf, wie es ihm beliebt. Und so trafen Aistulf, Baldur, Elicia und ich uns in der Halle. Der Vikar kam ebenfalls, verhielt sich jedoch wie ein Schatten, der zwar anwesend, nicht jedoch ansprechbar war.
Es ging zunächst um die Beseitigung der Flutschäden, und Aistulf erwähnte in diesem Zusammenhang, dass er plane, die Sümpfe trockenzulegen, dadurch neues Ackerland zu gewinnen und zugleich die Gesundheit der Bauern zu verbessern. Baldur hatte – freundlicherweise – nichts dagegen, dass unsere Bauern ein wenig länger
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