Die Suendenburg
bitten wollen. Unauffällig nahm ich seine Hand. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das das letzte Mal gemacht habe.
Nach einem Augenblick der Stille lachte Aistulf, dass es in den Ohren wehtat, und doch war es Balsam für mich.
»Du hast tatsächlich so viel Humor und Fantasie, wie deine Mutter behauptet. Gute Güte, du kannst dir Sachen ausdenken …«
Norbert-Orendel war verwirrt. »Ja, nicht wahr? Was – was wäre denn besser?«
»Nun, es muss sich wohl um Fantasie handeln, denn wir haben keine große Treppe.«
»Ach, nein? Ich hätte schwören können …«
»Wir haben nur kleine, an die Mauern angebaute Treppen, erinnerst du dich? Kronen haben wir auch nicht. Mach dir nichts daraus, du warst zwölf Jahre alt, als du die Burg verlassen musstest, und die Sehnsucht hat dich wohl manches idealisieren lassen.«
»Haha. Die Sehnsucht, ja, die muss es sein.«
»Deine Mutter wird herzlich lachen, wenn ich ihr das erzähle. Es macht dich real und menschlich, verstehst du, was ich meine? Es wird ihr gefallen. In letzter Zeit ging es ihr nicht so gut, sie kann Aufmunterung gebrauchen. Die Mutterwerdung macht ihr zu schaffen … Doch lassen wir das. Möchtest du ihr ein paar Zeilen schreiben? Ich würde ihr den Brief persönlich überreichen.«
»N-nein, lieber nicht. Ich bin zu – zu aufgeregt. Vor Freude, versteht sich.«
»Ich freue mich, dass es dir gut geht. Fehlt es dir an etwas? Wird alles für dich getan?«
»O ja, Bilhildis ist eine Perle. Was hätte ich ohne sie gemacht in all den Jahren. Sie verdient eine Belohnung, jetzt gleich …«
Als er die Belohnung erwähnte, dachte dieser Schurke doch bloß an sich selbst. Wollte seinen Lohn vergrößern. Und ich musste darauf eingehen. Mistkerl. Zwanzig Silberlinge hat es ihm eingebracht. Das Geld ist mir einerlei, aber es gefällt mir nicht, wie er mich spüren lässt, dass er mich in der Hand hat.
Immerhin, er hat seine Rolle alles in allem nicht übel gespielt, halt wie ein einfacher Schneider, der für eine Stunde von Adel sein darf und dabei auf Schablonen zurückgreift. Die Hirngespinste vom Krönchen und der Treppe hätten nicht sein müssen, und sein zeitweises Gestammel hat mich binnen fünf Atemzügen fünf Jahre altern lassen. Aber er hat getan, was er konnte. Vom Eiswassertunken nahm ich Abstand. Außerdem wusste ich, dass ich ihn womöglich noch einmal brauchen würde – und er wusste das auch.
Als Raimund und ich Aistulf zu seinem Pferd begleiteten, musste ich einen Rückschlag hinnehmen. Er bestand darauf, dass wir den Winter über im Gehöft bei Orendel blieben, da die Wege durch den Wald verschneit und eisig würden und ein ständiges hügelauf und hügelab kaum noch möglich wäre. Leider hatte er damit recht. Ich wollte ihm anbieten, dass bloß Raimund bei Orendel bleiben könnte, doch er ließ sich auf nichts ein. Und nun bin ich hier unten, abgetrennt von meinen übrigen Machenschaften. Wem kann ich von hier aus schaden? Die Gräfin wird sich ohne meine ständigen Verabreichungen von Tollkirsche bald erholen, und ich kann weder Elicia noch das ungarische Aas noch den Konstanzer Ausfrager im Auge behalten. Der einzige Vorteil ist, dass ich mehrere Monate lang sehr eng mit Orendel leben werde, um ihn restlos zu meinem Geschöpf zu machen. Vorsichtshalber haben wir auch Norbert zu uns geholt, er dient Orendel als Leibdiener und kann, falls Aistulf überraschend vorbeikommen sollte, rasch seine alte Rolle wiederaufnehmen.
Wenn bloß die Gräfin es sich nicht einfallen lässt, uns einen Besuch abzustatten.
Malvin
An Heiligabend traf ein Brief ein, der mir das Fest verdarb. Er kam aus Konstanz und war vom Schultheiß unterzeichnet worden. Er beklagte sich über den Stillstand im Gericht, der seit meiner Abreise eingetreten war, und »bat« um meine Rückkehr.
Wenn man etwas im Leben gefunden hat, von dem man weiß, dass es etwas Grundlegendes ist – die Luft, die man atmen will, der Boden, auf dem man fest steht, das Wasser, das man zum Überleben braucht –, dann ist sein Verlust gleichbedeutend mit dem Verlust der Essenz des Lebens. Dabei kann es sich um ein Kind handeln, um die Ehre, die Freiheit, die Reinheit, um Gottes Gunst, die Gunst einer begehrten Frau, die Selbstachtung, zu lieben und geliebt zu werden … Was dem Menschen das Wichtigste, das ist alles für den Menschen. Ich habe bei Elicia etwas gefunden, das mein Leben zu etwas Besonderem gemacht hat. Weder meine Arbeit noch meine Stellung, weder mein Pflichtgefühl
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